Das Geflecht
schrill. «Ihnen vertrauen? Sie haben mir die Schulter ausgerenkt! Und Sie haben uns aus der Höhle weggeführt, obwohl Sie den Weg überhaupt nicht kennen! Wir hätten dort bleiben und auf die Rettungsleute warten sollen – auf
richtige
Rettungsleute, die sehen können und Lampen dabeihaben! Wenn wir hier unten alle sterben, ist das
Ihre
Schuld!»
Betretenes Schweigen trat ein, während das Echo ihrer Stimme in der Dunkelheit nachzitterte. Tia stand vor ihr, spürte Danas Verzweiflung, roch den kalten Schweiß der Angst. Eineplötzliche Woge des Mitgefühls erfasste sie, und sie schloss das Mädchen fest in die Arme.
«Ich bringe Sie hier heraus, Dana», versprach sie. «Glauben Sie mir.»
Dana wehrte sich nicht, auch wenn ihr Körper sich steif wie eine Puppe anfühlte.
«Wir müssen weiter!», mahnte Leon leise.
Tia nickte, löste sich von dem Mädchen und ergriff ihre Hand. «Vorsicht, es geht scharf rechts um die Ecke.»
Der Gang führte einige Zeit geradeaus. Dann brach er plötzlich ab und mündete in eine Kammer mit geröllübersätem Boden, von der wiederum Spalten in verschiedene Richtungen abzweigten.
Aufwärts! Bitte! Bitte!
, flehte Tia, schoss eine kleine Kaskade von Zungenlauten ins Leere – und erhielt endlich die gewünschte Rückmeldung: Eine der Spalten, auf die sich die Pilzranken zielsicher zuschlängelten, führte schräg nach oben. Die Steigung war allerdings zu groß, um aufrecht gehend überwunden zu werden. Sie würden also klettern müssen.
Tia wusste, dass Dana das nicht schaffen würde. Nicht an einem Stück – und vor allem nicht, wenn sie kein Gefühl mehr in den Fingern hatte und sich verletzen konnte, ohne es zu bemerken.
Sie inspizierte die anderen Öffnungen – und atmete auf, als sie endlich fand, wonach sie seit langem Ausschau hielt: Einen abseitigen Raum, der vollständig frei von Pilzhyphen war.
«Hier hinein!», ordnete sie kurzentschlossen an.
Sie zwängte sich durch den hüfthohen Spalt, dessen Ränder glücklicherweise stumpf und glatt waren, erkundete den Hohlraum und stellte zufrieden fest, dass er birnenförmig, nicht zu groß und bis auf die Zugangsöffnung allseitig geschlossen war. Der Boden war leicht abschüssig, aber trocken. Vorsichtig zogsie Dana hinter sich her und assistierte dann den beiden Männern beim Einstieg.
«Was ist das?», fragte Leon. «Ich höre kein Echo mehr.»
«Ein geschlossener Raum», nickte Tia, «knapp zehn Kubikmeter. Wir müssen eine Pause einlegen.»
«Und was ist mit dem Pilz?», fragte Dana beklommen.
«Hier drin ist keine einzige Ranke», versicherte Tia. «Er ist hier nie eingedrungen, weil der Raum nicht auf dem Weg nach draußen liegt und auch keine Nahrungsquelle enthält.»
«Aber
jetzt
enthält er eine Nahrungsquelle!» Danas Stimme klang schon wieder panisch. «Sie haben gesagt, dass dieser Pilz um mehrere Zentimeter in der Stunde wachsen kann!»
«Und das gibt uns mehr als genug Zeit!», unterbrach Tia resolut. «Ich habe nicht vor, hier zu übernachten. Wir müssen uns nur ein wenig ausruhen und aufwärmen – Sie vor allem, Dana.»
••• 00 : 30 ••• BRINGSHAUS •••
Bringshaus war froh, das Bergwerk zu verlassen. Es war tröstlich, aus dem Eingangsstollen zu treten und wieder die frische Nachtluft zu atmen. Allein der Anblick von Bäumen, Büschen und offenem Gelände wirkte beruhigend auf ihn. Die Nacht war lau und klar, der Himmel von Sternen übersät. Die Einsatzfahrzeuge standen noch immer an der Zufahrt, und auf einer offenen Wiese hinter dem Parkplatz konnte Bringshaus die erleuchtete Silhouette des Hubschraubers erkennen. Danas Mutter wartete nicht mehr am Tor, wie er mit heimlicher Erleichterung feststellte, sondern hatte sich zu einigen der Feuerwehrleutegesellt, die am Führerhaus ihres Wagens lehnten. Havermann übernahm die Aufgabe, sie über die jüngste Änderung der Lage zu informieren, während Schultze die Suchtrupps einteilte und die nötigen Gerätschaften ausgeben ließ.
«Drei Teams zu je vier Mann! Jedes Team bekommt eine Hacke und einen Spaten. Erdspalten werden vorsichtig angegraben, um zu sehen, ob sich Hohlräume darunter befinden. Wer etwas entdeckt, benachrichtigt sofort die anderen Teams. – Und Sie gehen erst einmal zum Arzt!», wandte er sich an Bringshaus, der bereits zwei Stablampen und eine Hacke in Empfang genommen hatte. «Sie können ja später zu uns stoßen.»
Bringshaus wollte widersprechen, doch Böttcher ergriff ihn unerwartet beim
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