Das gefrorene Lachen
letzten Tag vor ihrer Verzauberung zurückkehrte: Der Geburtstag des Prinzen. Die Theatervorstellung. Das magische Duell …
»Das Duell«, sagte sie.
Der Dschinn nickte traurig. »Ich wollte dir wirklich keinen Schaden zufügen«, sagte er. »Aber dein Vater hatte unglaublich viele Zauber gewirkt, mein Herr ebenfalls, und du hast dich mit deinen Kräften auch noch eingemischt. Das Ganze hat einen schrecklichen Wirrwarr auf der vierten magischen Ebene verursacht, und deshalb habe ich mich mitsamt meinem Verschwindezauber darin verheddert. Ich war ebenso in diesem verzauberten Theater gefangen wie ihr alle. Mit Stummheit geschlagen und von Kopfschmerzen geplagt, wenn ich versuchte dir zu erklären, was geschehen ist.«
Pippa schüttelte den Kopf, in dem alles durcheinanderwirbelte– ihr Leben im Schloss, ihr Leben im Theater, der Dschinn, der Zarter Blütenzauber gewesen war, August-Augustin, der Prinzipal und das schreckliche Weißgesicht.
»Oje«, murmelte sie. »Wie bekommen wir das alles wieder auseinander?«
Der Dschinn legte das Kinn in die Hand. »Das schaffst du«, sagte er zuversichtlich.
»Ich?«, rief Pippa. »Wieso denn ich?«
»Weil du den allerletzten Knoten in den Zauber gemacht hast.« Der Dschinn seufzte. »Ich bin bei dir. Ich helfe dir, soweit ich kann. Aber ich bin nur ein einfacher Ifrit, kein großer Zauberer. Deshalb habe ich ja auch alles dermaßen vermurkst.«
»Wie heißt du denn nun wirklich?«, sagte Pippa, die sich sehr müde fühlte. »Liang Dong? Zarter Blütenzauber?«
Das runde Gesicht des Dschinns strahlte auf. »Diesmal darf ich dir antworten«, sagte er. »Ich bin ja nicht mehr gebunden. Liang Dong ist mein Name, Sohn des Long Dong, des Östlichen Drachens.«
»Drache!«, wiederholte Pippa, der erneut ein Licht aufging. »Drache – also, du hättest mich schon wirklich hier im Schloss absetzen können! Ich hätte beinahe als Ogerfrühstück geendet!«
Der Dschinn schlug die Augen nieder. »Ich konnte mich doch hier nicht blicken lassen«, wisperte er. »Wenn der böse Ostwind mich gesehen hätte …«
»Böser Ostwind«, wiederholte eine Stimme. »Bösböser Ostwind.« Der kleine Wasserspeier landete auf derSchulter des Dschinns und knabberte zärtlich an seinem Ohrläppchen. Pippa musste lachen. »Also dann«, sagte sie. »Was soll ich tun?«
»Du musst sie wecken und jedem von ihnen sagen, wo er hingehört.« Der Dschinn stand auf. »Ich hole alle her.« – »Alle?«, wisperte Pippa erschöpft. Wie viele Menschen und andere Wesen hatten im Schloss gelebt und gearbeitet? Oh, so viele! Und sie war doch so müde!
Die angehaltene Zeit machte jede Bewegung zu einem Gang wie durch dickflüssiges Gelee. Der Dschinn ließ zwischen den Säulen mit einer Handbewegung eine Menschenmenge erscheinen, und allesamt schauten sie erstaunt und unglücklich in ihrer Starre drein.
Pippa sah sich jeden Einzelnen gründlich an. Wer war der kräftige Mann mit der Narbe auf der Stirn in Wirklichkeit? Er hatte Kulissen gebaut und während der Abendvorstellung die Züge bedient. Und das junge Mädchen mit den Sommersprossen, die Zuckerzeug und Lose verkaufte? Einen Moment lang fürchtete sie, ihre Aufgabe nicht erfüllen zu können, aber dann hoben sich die Schleier von ihren Erinnerungen, sie ging zu dem Mann hin, legte eine Hand auf seine Schulter und sagte: »Gregor. Kellermeister.« Der Mann regte sich, blinzelte, lächelte sie an, sagte »Danke, Pippa« und war verschwunden.
»Linda, Kammerzofe«, sagte Pippa zu dem Mädchen und »Pauline, Kochgehilfin« zu ihrer Nachbarin.
»Danke, Pippa.« Verschwunden auch sie.
So ging es weiter und weiter und weiter. Manchmal musste Pippa einen Mann überspringen, weil ihr seinName nicht einfiel oder seine Arbeit, aber dann fiel ihr beides wieder ein, sie bekam ein Lächeln und einen Dank, und wieder war eine Gruppe aus dem Saal verschwunden.
Pippas Müdigkeit klopfte in ihren Gliedern und machte ihren Kopf leicht und schwindelig, aber sie war beflügelt von dem, was sie tat. Zauber um Zauber löste sich, Dank um Dank sammelte sich vor ihr, sie ging durch den Saal, nannte Namen, erwiderte Lächeln, und schließlich war nur noch eine Handvoll starrer Figuren rund um sie zu sehen.
»Mitja, Stallmeister«, sagte sie und klopfte dem zweiten Pferdemenschen fest auf die Kruppe. Er blinzelte, lächelte, warf ihr eine Kusshand zu und folgte seinem Bruder. »Hannes, Obergärtner«, sagte sie zu dem Bocksfüßigen, Gehörnten. Der lachte laut, als er
Weitere Kostenlose Bücher