Das gefrorene Lachen
gescherzt, genug der Spielereien«, sagte er dann. »Ich werde müde.«
Das Weißgesicht rieb sich erwartungsvoll die Hände, der schwarze Zauberer leckte sich über die Lippen und machte einen Schritt auf Pippa zu. Sie schloss die Augen. Die Kiste. Jetzt würde er sie in die Kiste stecken und dann kamen die Schwerter, die sie neben August in ihrem Ständer warten sah. Sie blitzten unheilvoll in dem grässlichen Licht der Fackeln. Dieses Mal würde es kein Entkommen für sie geben, das wusste sie.
Doch Ostwind winkte die beiden Männer zurück. »Das dauert mir alles zu lange«, sagte er, klatschte in die Hände und rief: »Sklave! Ich brauche deine Dienste!«
Pippas auf der Suche nach Rettung umherirrende Blicke fielen auf einen großen Krug, der völlig unpassend am Fuß des Thrones stand. Was für ein Schrecknis verbarg sich darin?
»Sklave!« Ostwind klang gereizt. Er klatschte erneut. »Du hast lange genug geschmollt. Jetzt gehorche deinem Meister!«
Ein Geräusch wie ein donnernder Seufzer erklang, und dann sprang der Stopfen aus dem Krug und eine tiefschwarze Wolke quoll daraus hervor, wuchs zur Decke des Saals, verdichtete sich, wurde lebendig.
Eine muskelbepackte, schreckerregende Erscheinung mit feuerroten Augen in einer Dämonenfratze verneigte sich stumm und mit verschränkten Armen vor Ostwind.
»Na, endlich«, sagte der scharf. »Jetzt erledige, was du beim ersten Mal versäumt hast, unfähige Kreatur. Töte sie alle – und ich will, dass sie leiden. Ich will sehen, wie sie sich in Qualen winden. Ich will sie schreien hören. Fang mit dem Mädchen an.«
Pippa zitterte am ganzen Leib. Die Kleeblätter – sie hatte so sehr gehofft, dass sie etwas bewirken würden. Drei lösen den Zauber, hatte das Gedicht versprochen. Aber vielleicht waren es nur noch zwei gewesen oder ganz und gar die falschen Kleeblätter.
Sie richtete ihren Blick auf das Gesicht des turmhohen Monstrums, das sich über sie beugte. Und ... nichts tat. Ihr zuzwinkerte. Ihr bedeutungsvolle, beredte Zeichen mit der Hand machte, die der Zauberer in seinem Rücken nicht sehen konnte. Sag es, sprachen die Hände, die sich in vertrauter Manier bewegten. Sag es jetzt. Wir haben keine Zeit mehr.
Pippa riss die Augen auf, fassungslos. Ihr Blick suchte nach dem Gesicht des Wesens, traf auf rot glühende Feueraugen – aus denen stille Tränen rannen, die auf den Wangen in kleinen Wölkchen verdampften. Eine Hand, die sich vor den Mund legte und drei Finger zeigte, dann einen. Drei und wieder einen. Drei. Sag es. Drei. Sag es – zum dritten und letzten Mal.
Die Erkenntnis traf Pippa wie ein Blitz. Sie öffnete den Mund und schrie: »Liang …«
Der Aufschrei des bösen Ostwind ertönte im gleichen Moment. Pippa sah, wie der schwarze Zauberer an der Seite des Throns, von seinem Herrn und Meister gestoßen, die Hände hob und einen altbekannten, verhasstenZauber wirkte. Im gleichen Moment war Pippa mit Stummheit geschlagen. Der Riese, der über sie gebeugt stand, stöhnte auf.
»Töte sie, du Tölpel!«, kreischte Ostwind.
Eine Stimme neben Pippa sagte ruhig: »Liang Dong.«
Donnernde Stille. Es war, als wäre die Luft mit einem Schlag gefroren. Das Zucken und Tanzen der Flammen war erstarrt, die Bewegungen der Menschen eingefroren, alle Geräusche erstorben.
»Liang Dong«, wiederholte eine andere Stimme, die ein wenig heiser klang, als hätte der Sprecher sie sehr lange nicht mehr benutzt. Die Stimme räusperte sich. »Ja, das ist mein Name.«
Pippa konnte sich bewegen, was sie sehr erstaunte. Sie blickte den über ihr aufragenden Geist an und erinnerte sich. »Der Dschinn«, rief sie aus. »Du bist der Ifrit, der meinen Vater … den König …« Die Erinnerung zerfaserte, ehe sie sie richtig greifen konnte.
»Ja, der bin ich«, sagte das riesige Wesen. »Aber wir haben keine Zeit, uns zu unterhalten. Er ist noch nicht geschlagen. Er kann mich nicht mehr in dieses schreckliche Gefäß verbannen, ich muss ihm auch nicht mehr gehorchen – aber ich kann nichts gegen ihn ausrichten. Er ist für immer mein Herr und Meister, Philippa Saffronia. Du musst ihn besiegen.«
»Ich?«, rief Pippa. »Aber wie?«
Die Welt erzitterte, die gefrorene Zeit taute auf. »Denk daran, er hat kein Herz«, hörte sie den Dschinn noch flüstern, dann stand sie wieder vor dem Thron, von dem der böse Ostwind gerade aufstand, um sich ihrzu nähern. Sein Gesicht war wutverzerrt und ganz und gar nicht mehr hübsch oder jung. An seiner Seite rückten das
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