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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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Fenstern. Pippa hörte, wie Fensterläden zugeschmettert und verriegelt wurden.»Ich kann nicht mehr«, stöhnte sie. »August, wir müssen ihn abschütteln.«
    »Ich versuche es ja«, gab er zurück und zog sie in einen Tordurchgang. Der Innenhof, in dem sie standen, hatte keinen zweiten Ausgang. August fluchte unterdrückt und schob Pippa zu einer Mauer, vor der Kisten gestapelt waren. »Da hinüber«, sagte er und half ihr, den Kistenstapel zu besteigen. Die Kisten schwankten bedrohlich unter ihrem Gewicht. »Ich halte dich«, hörte sie ihn beruhigend sagen.
    »August«, rief Pippa erschreckt. Sein Arm stützte sie, er fasste sie um die Beine und drückte sie zur Mauerkrone hinauf. »Halt dich fest«, ächzte er.
    Pippa krallte sich an der Mauer fest und schaffte es mit Augusts Hilfe, sich nach oben zu ziehen, wobei sie sich beide Knie aufschürfte. Endlich lag sie oben und streckte sich lang aus, um August beim Hochklettern zu helfen. Sie grapschte nach seiner Hand, aber in dem Moment, als ihre Finger sich berührten, begann der Kistenstapel unter ihm wegzurutschen. Die Kisten fielen auseinander, und August taumelte, rutschte, fiel mit rudernden Armen inmitten zersplitternden Holzes auf den Boden zurück.
    Pippa schrie seinen Namen und versuchte ihn zu halten, aber ihre Hilfe kam zu spät.
    Durch das Tor kam langsam, wie auf einem Spaziergang, der Lehrer geschritten. »Da seid ihr ja«, sagte er. »So unartige Kinder habe ich aber schon lange nicht mehr erlebt.«
    Pippa machte Anstalten, wieder von der Mauer zuspringen, um August beizustehen, da drängten hinter dem Lehrer grau uniformierte Männer auf den Hof und umringten August, der auf dem Boden saß und sich den Kopf hielt. Zwei von ihnen packten ihn unter den Armen und zerrten ihn auf die Füße, vier andere rannten auf die Mauer zu, auf der Pippa hockte. »Holt sie herunter«, hörte sie den Lehrer sagen. »Bringt beide ins Schloss.«
    Pippa kauerte auf der Mauer, unschlüssig, was sie tun sollte. August wurde von den Männern zum Tor gezerrt. Er drehte den Kopf zurück und rief: »Lauf, Pippa!«
    »August«, rief sie und machte Anstalten, von der Mauer zu springen und zu ihm zu laufen – ungeachtet der grauen Tick-Tacks, die sich nun unter der Mauer aufbauten, um sie zu schnappen.
    »Nein, lauf weg!«, hörte sie ihn brüllen. Ein grau gekleideter Arm griff nach ihr, packte ihren Fuß, zerrte daran. Sie trat schreiend nach ihm, aber er ließ nicht los. Ein zweiter Arm erschien auf der Mauer, dann zog sich ein Gendarm zu ihr hoch.
    Die Zeit warf Blasen und stoppte. Die Männer, die August vom Hof trieben, der Lehrer, der mit dem Schürhaken auf sie zeigte, die Gendarmen, die auf die Mauer kletterten – alles erstarrte, erzitterte, wurde blass und halb durchsichtig. In Pippas Ohren dröhnte ferner Donner. Dann gab es einen lauten, scharfen Knall, einen heftigen Luftwirbel, und sie fiel so hart zu Boden, dass alle Luft aus ihrer Lunge wich. Sie sah Sterne, dann sah sie eine Weile lang gar nichts mehr.
    Als die Welt wiederkehrte, lag Pippa auf dem Rückenim weichen Gras und blickte in das rauschende Blättermeer eines großen Holunders, der sich sanft im Wind bewegte. Ihr Kopf ruhte auf einem Bett aus Klee und duftendem Thymian, ihre Wange kitzelte blühender Wiesenschaum, und ihre Hände berührten Löwenzahn und leuchtend gelbe Butterblumen. Vögel zwitscherten, in der Ferne gluckste Wasser und ein Schmetterling taumelte selbstvergessen über die blühende Wiese.
    Sie schloss und öffnete ihre Augen, aber der Anblick änderte sich nicht. »August?«, sagte sie und setzte sich auf.
    Sie war allein.
    In ihrem Kopf drehte sich alles wild umeinander. Wo war sie und wie war sie hierhergelangt? Sie stand auf und blickte sich um. Eine große Blumenwiese, hier und da mit Bäumen bestanden, irgendwo bimmelten Glöckchen. Eine Herde Schafe drängte sich um einen Wassertrog, wachsam umkreist von zwei drahtigen Hunden.
    Pippa rief: »Hallo!«, denn wo Schafe und Hunde waren, konnte der Schäfer nicht weit sein.
    Ein Mann in derben braunen Kleidern, den sie nicht gesehen hatte, erhob sich von einem Baumstumpf und kam auf sie zu. »Kann ich dir helfen, junge Dame?«, fragte er.
    »Ich glaube, ich habe mich verlaufen«, sagte sie. »Wo bin ich hier?«
    Der Schäfer lachte sie mit schadhaften Zähnen breit an. »Dies ist der nördliche Teil der Fluss-Auen«, sagte er freundlich. »Wo möchtest du denn hin?«
    »Das Theater«, sagte Pippa, um die sich immer nochalles

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