Das gefrorene Licht. Island-Krimi
nur, warum sie denn wütend sein sollte.« Mühevoll stützte sie sich auf die Ellbogen. »Immer so lieb.«
»Soll ich das Wasser halten oder schaffst du es alleine?« Die Krankenschwester langte nach der Schnabeltasse auf dem Nachttisch und reichte der alten Frau das Wasser.
»Natürlich habe ich ihr gesagt, warum sie wütend sein sollte«, sagte die Frau, gänzlich desinteressiert an Wasser und Medikamenten. »Und ich dachte immer, sie wüsste über mich Bescheid.« Verwundert schüttelte sie den Kopf; ihr weißes Haar schwang hin und her. »Aber so war es anscheinend nicht«, sagte sie dann und schloss die Augen. »Zum Glück hat sie mir dennoch verziehen.«
»Das ist ja wirklich schön«, sagte die Krankenschwester und stellte den Pillenbecher und die Schnabeltasse ab. »Na komm«, sagte sie und packte die alte Frau unter den Armen. »Du musst dich weiter aufsetzen.« Sie hob die Frau ein wenig an. Ihr Rücken war gekrümmt; sie konnte sich keinesfalls gerade hinsetzen, aber das würde reichen. »Jetzt nehmen wir unsere Tabletten.« Sie nahm die Pillen. »Die anderen warten schon, also müssen wir uns beeilen.« Sie hob die Tasse an die dünnen, farblosen Lippen der Frau.
Die alte Frau öffnete den Mund und erlaubte der Krankenschwester, ihr die Pillen in den Mund zu schieben. Sie kannte die Prozedur und wartete mit dem Schlucken, bis sie das Wasser bekommen hatte. Die Pillen glitten geräuschvoll ihre Kehle hinunter. Anschließend wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund und schaute die Krankenschwester an. »Freundlich war sie und lieb. Denk nur.«
»Was meinst du, meine Liebe?«, fragte die Krankenschwester höflich, obwohl sie nicht wusste, ob die alte Frau bei klarem Verstand war.
»Sie hat mir verziehen. Und ich habe nichts für sie getan.«
»Bist du dir da sicher, meine Liebe?«, sagte die Krankenschwester und lächelte. »Du hast bestimmt eine ganze Menge für sie getan. Du kannst dich nur nicht daran erinnern.«
Die alte Frau machte ein gereiztes Gesicht. »Selbstverständlich erinnere ich mich daran. Sie starb. Wie kann man das vergessen?«
Die Krankenschwester lächelte in sich hinein und strich liebevoll über das graue Haar. Es war, wie sie vermutet hatte: Die arme alte Frau war verwirrt. Eine tote Besucherin? Sie achtete darauf, nicht zu grinsen, und bettete die Frau wieder in eine bequeme Lage. »Ist ja gut, Malla. Jetzt versuch wieder zu schlafen.«
Als ihr Kopf wieder auf dem Kissen lag, schloss die alte Frau augenblicklich die Augen. »Ermordet. Das Böse ist überall.« Sie schmatzte ein wenig und murmelte dann schläfrig: »Meine liebe, liebe Kristín.«
27 . KAPITEL
»Es war bestimmt das Tier, das auf Eiríkurs Brust gebunden war«, sagte Matthias. »Zumindest sehe ich nirgendwo einen Fuchs.« Dóra und er waren auf Birnas und Robins Spuren nach Kreppa gewandert und standen an der Stelle, an der diese den Fuchs gefunden hatten. Er war nirgends zu sehen.
»Ein anderes Tier könnte seine Überreste gefressen haben, aber wahrscheinlich hast du recht«, meinte Dóra. »Wir haben hier bisher nur Schafe gesehen, und ich bezweifle, dass die Füchse fressen.« Sie schaute zum Himmel. »Vielleicht Vögel, aber dann wären die Knochen noch da.«
»Der Mörder muss also hier gewesen sein«, folgerte Matthias. Er schlug mit einem Zweig, den er auf der Suche nach dem Kadaver aufgehoben hatte, leicht ins hohe Gras.
»Oder er hat den Fuchs geschossen und ist ihm hierher gefolgt, nachdem Birna und Robin wieder weg waren«, überlegte Dóra. »Ich würde wirklich gerne wissen, welchen Zweck dieser Fuchs haben sollte.«
»Vielleicht kommt der rettende Engel Bella dahinter«, meinte Matthias. »Vielleicht sollte der Fuchs etwas symbolisieren.«
»Du meinst eine Botschaft?«, sagte Dóra skeptisch. »Vom Tierschutzverein oder so?«
»Nein, vom Mörder«, entgegnete Matthias. »Vielleicht steckt eine verstörte Person dahinter, die dadurch etwas mitteilen möchte. Ist denn vollkommen auszuschließen, dass etwas Derartiges auch an Birna festgebunden war?«
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Dóra. »Zumindest war davon nie die Rede. Beide hatten Nadeln in den Fußsohlen, aber niemand hat im Zusammenhang mit Birna einen Fuchs oder ein anderes Tier erwähnt.«
Sie blieben auf dem Platz vor dem alten Hof stehen. »Wem gehört das Auto?«, fragte Matthias und zeigte auf einen geparkten Renault Mégane, ein ziemlich neues Modell.
Dóra zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Hier
Weitere Kostenlose Bücher