Das gefrorene Licht. Island-Krimi
Alter von zwölf Jahren erreicht haben, können sie die Dinge nicht mehr sofort tun. Es muss immer nachher sein.«
»Sollen wir versuchen, Steini oder Bertha abzufangen?«, fragte Matthias. »Vielleicht weiß Bertha irgendetwas, das meine Vermutung untermauert. Selbst wenn sie mit ihm befreundet ist und ihn anscheinend sehr mag, muss sie nicht unbedingt ihre schützende Hand über ihn halten, wenn sich die Sache als richtig herausstellt.«
»Da hast du wahrscheinlich recht«, sagte Dóra und wollte aufstehen. »Ich bin bereit. Du hast eine Wand für mich eingerissen, und das mindeste, womit ich das vergelten kann, ist, abzuchecken, ob deine verrückte Hypothese genauso gut ist wie meine.«
»Es steht dir vollkommen frei, es anderweitig gutzumachen«, sagte Matthias und grinste.
Dóra antwortete nicht. Sie stand mit der aufgeschlagenen Ausgabe der Volksmärchen in der Hand da und las. »Warte mal«, sagte sie gespannt. »Was ist das denn?«
32 . KAPITEL
Dóra zeigte aufgeregt auf eine Textstelle. Matthias musterte sie, verstand aber kein Wort. »Auf der Seite vor der Geschichte von dem Wiedergänger bei der Hochzeitsfeier steht: Will man verhindern, dass ein Verstorbener zum Wiedergänger wird, muss man ihm Nadeln in die Fußsohlen stechen.« Sie schlug das Buch zu. »Der Mörder wollte sichergehen, dass seine Opfer nicht zu Wiedergängern werden.«
Matthias schaute sie skeptisch an. »Und warum nicht?«
»Wir verstehen das vielleicht nicht, aber vermutlich glaubt er an Geister«, sagte Dóra und errötete leicht bei dem Gedanken an das Heulen, das sie gehört hatte. Sie hatte sich an ihren Vorsatz gehalten, niemandem davon zu erzählen, am allerwenigsten Matthias.
»Warum wirst du rot?«, fragte er. »Fängst du etwa in deinem Alter noch an, an Geister zu glauben?« Er bohrte seinen Zeigefinger in ihren Arm. »Hast du das Weinen auch gehört?«
Dóra war es immer schwergefallen, Menschen, die sie gut kannte, anzulügen. »Ja, ich hab was gehört«, sagte sie widerwillig. »Es war natürlich kein Wiedergänger, aber ein Weinen, wie von einem Baby.«
»Großartig«, sagte Matthias, hochzufrieden über die Entwicklung der Dinge.
Dóra streckte ihm die Zunge heraus. »Komm«, sagte sie. »Wir haben Wichtigeres zu tun, als über Geister zu diskutieren. Lass uns Bertha und Steini suchen.«
Dóra konnte es kaum erwarten, die Hotellobby zu verlassen. Der Brandgeruch, der mit dem endlosen Abtransport verbrannter Tierkadaver aus dem Keller einherging, hing in der Luft. Am liebsten hätte sich Dóra die Nase zugehalten, als sie an Vigdís vorbeiging. Stattdessen beschleunigte sie ihren Schritt und hielt die Luft an. Bei ihrem fluchtartigen Abgang lief sie þröstur Laufeyjarson direkt in die Arme.
»Verzeihung«, sagte sie und versuchte, ihr Gleichgewicht wiederzufinden. »Ich hab dich gar nicht gesehen.«
»Schon in Ordnung«, entgegnete der Kajakfahrer schlecht gelaunt. Er trug einen wasserdichten Anzug und hatte nasses Haar. »Nichts passiert«, sagte er. »Anders als bei meinem Kajak«, fügte er verärgert hinzu.
»Was?«, fragte Dóra. »Ist es kaputt?« Als sie þrösturs Gesichtsausdruck sah, rutschte ihr heraus: »Ich hab’s nicht angerührt.«
»Nee, weiß ich«, sagte þröstur und wollte weitergehen.
»Warte mal, ich wollte dich was fragen.« Dóra packte ihn am Arm und erschrak, als sie spürte, wie muskulös der Mann war. »Ich hab schon vergeblich versucht, mit dir zu reden.«
»Was wolltest du mich denn fragen?«, blaffte þröstur. Dóra ließ verschreckt seinen Arm los. »Ob ich beim Kajakfahren schon mal kopfüber unter Wasser steckengeblieben bin?«
»Äh, nein«, sagte Dóra irritiert. »Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen. Es geht mir um die beiden Morde, die hier begangen wurden, wie du bestimmt weißt.«
þrösturs Gesicht nahm einen wütenden und zugleich ängstlichen Ausdruck an. Die Hoteltür ging auf, und seine Aufmerksamkeit wurde auf den Knochentransport gelenkt. Verwunderung zog sich über sein Gesicht. »Was ist denn hier los?«
»So einiges«, sagte Dóra. »Aber nichts Gutes. Hast du einen Moment Zeit?«
»Ja, ja«, sagte er plötzlich. »Ich wollte sowieso gerade zur Polizei. Seit das Kajak kaputt ist, gibt es keinen Grund mehr, zu schweigen.«
»Wie bitte?«, sagte Dóra. Sie zeigte auf die Gartenstühle vor dem Haus. »Sollen wir uns nicht setzen?« Sie gingen zu dem Tisch und nahmen Platz. Dóra nutzte die Gelegenheit und stellte Matthias vor. »Was
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