Das gefrorene Licht. Island-Krimi
Es passiert gar nicht so selten, dass der richtige Mann in Untersuchungshaft kommt, meine Liebe. Du solltest dich vielleicht damit abfinden, anstatt uns mit deiner Anwesenheit zu belästigen.«
»Lass uns nicht überreagieren«, sagte Baldvin beschwichtigend zu seinem Großvater und lächelte Dóra entschuldigend zu. Das Lächeln drang nicht bis zu seinen Augen. »Wir sind beide etwas gereizt, weil wir nicht nach Hause kommen. Die Polizei hat uns gebeten, zu warten, weil sie noch kurz mit uns beiden sprechen muss. Ich bin nicht in der Lage, über die Schuld oder Unschuld von diesem Jónas zu urteilen, aber ich kann euch, wie mein Großvater, guten Gewissens versichern, dass wir nichts damit zu tun haben. Stell einfach deine Fragen, vielleicht kann ich dich dann überzeugen.«
»Was wolltest du am Sonntagabend hier?«, fragte Dóra geradeheraus. »Dein Wagen hat den Hvalfjörður-Tunnel passiert.«
Baldvin lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nahm die Hände vom Tisch. »Ich bin nicht hergekommen, um diesen Unglücksraben umzubringen, falls du das meinst.«
»Sondern?«, fragte Dóra scharf. »Du bist ja wohl nicht den langen Weg gefahren, um deinen Großvater zu besuchen?«
»Nein«, erwiderte Baldvin, »ich kann es dir sagen. Ich habe beschlossen, reinen Tisch zu machen. Mit einer solchen Sache sollte man sich zwar nicht brüsten, aber ich werde sie nicht verheimlichen. « Er streckte seinen Rücken. »Ihr habt ja offenbar das Foto gefunden, und wenn ich die Polizei richtig verstanden habe, wisst ihr von Birnas Versuch, mich zu zwingen, dass ich ihr den Sieg bei der Ausschreibung für den neuen Busbahnhof verschaffe.« Dóra nickte nur. »Diese Frau war ungeheuer habgierig«, beeilte sich Baldvin hinzuzufügen. »Damit möchte ich nicht den Mord an ihr rechtfertigen. Mitnichten. Sie hat mich angerufen, mir geschrieben und mich einfach nicht in Ruhe gelassen. Dasselbe hat sie mit Großvater getan, der schließlich sogar die Reha in Reykjalundur abgebrochen hat und hergekommen ist, um sie zur Vernunft zu bringen. Er hat sehr darunter gelitten, dass seine Vergangenheit Schatten auf meine Existenz werfen könnte.«
»Wie tragisch«, bemerkte Dóra ironisch. »Aber du hast immer noch nicht deine Fahrt hierher am Sonntag erklärt.«
»Ich war hier, um in Birnas Zimmer einzubrechen«, gab Baldvin zu. »Großvater hatte erfahren, dass die Polizei es noch genauer untersuchen wollte, und ich hab gehofft, das Foto dort zu finden. Aber es war nicht da.«
»Und am Donnerstag? Da habt ihr die spiritistische Sitzung kurz nach Beginn wieder verlassen und seid nicht wiedergekommen. Warum?«
Baldvin lächelte und zeigte auf seinen Großvater. »Großvater war schwindelig. Er fühlte sich unwohl, deshalb bin ich mit ihm rausgegangen. Außerdem war die Séance nichts für uns. Wir sind nur hingegangen, weil wir Birna treffen wollten.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Ja, selbstverständlich«, antwortete Baldvin gelassen. »Ich habe Großvater auf sein Zimmer begleitet und seinen Arzt angerufen. Der hat mir die Nummer eines Kollegen hier in Snæfellsnes gegeben, und der ist hergekommen. Das muss gegen neun Uhr gewesen sein, und um zehn ist er wieder gegangen.«
Dóra war sofort klar, dass die beiden nicht mehr als Täter in Frage kamen. Sie hatte keine Lust, nach dem Namen des Arztes zu fragen, darum konnte sich þórólfur kümmern. Sie schaute zu Matthias. »Ich glaube, das war’s.« Sie stand auf. »Es gibt allerdings noch eine Sache, auf die ich dich hinweisen möchte, Magnús. Die Polizei ist kurz davor, das Skelett eines Kindes zu finden. Ich glaube, es ist Kristín, die Tochter von dir und Guðný Bjarnadóttir.«
»Was meinst du damit?«, fragte der alte Mann mit brüchiger Stimme. »Meine Tochter?«
»Ja, Guðný hat dir von ihr geschrieben«, sagte Dóra auf das Risiko hin, dass das gar nicht stimmte. »Ich glaube, Bjarnis Bruder Grímur, der auf dem Nachbarhof wohnte, hat sie getötet, um sich das Erbe seines Bruders unter den Nagel zu reißen – damit du es nicht bekommst.«
»Ich?« Magnús wurde immer bleicher. Dóra registrierte, dass er den Brief nicht abgestritten hatte.
»Allerdings glaube ich«, fuhr Dóra fort, bevor er weitere Fragen stellen konnte, »dass du dein Erbrecht durch dein Desinteresse verwirkt hast. Du wusstest von dem Mädchen und hättest seinerzeit Anspruch auf das Erbe erheben müssen. Allerdings hättest du noch einiges mehr tun müssen, zum Beispiel dich nach dem Schicksal des
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