Das gefrorene Licht. Island-Krimi
verstehe.« Er verstand offenbar nicht ganz, denn er sagte nichts weiter.
»Du weißt also nichts Genaues darüber? Ist inzwischen klar, um wen es sich handelt?«
»Nein, nicht offiziell. Allerdings sind sich alle darüber einig, dass es Birna ist, die Architektin.« Er zuckte die Achseln. »Aber vielleicht stellt sich doch noch heraus, dass es jemand ganz anderes ist.«
»Kanntest du sie?«
»Ein bisschen«, antwortete der Kellner mit ausdrucksloser Miene. »Sie war sehr oft hier. Es ließ sich nicht vermeiden, mit ihr zu tun zu haben.«
»Das klingt ja nicht so, als seist du besonders gut mit ihr ausgekommen.« Dóra nahm einen Schluck Mineralwasser und spürte, wie der Kellerstaub durch ihre Kehle hinuntergespült wurde.
Der Kellner hatte offenbar genug von ihrer Unterhaltung. »Ich muss deine Bestellung in die Küche bringen. Der Koch wird sauer, wenn er länger als bis halb zwei bleiben muss.« Er lächelte ihr zu. »Unter uns gesagt, ich konnte sie nicht ausstehen. Ein richtiges Miststück war sie, auch wenn sie jetzt tot ist. Sie war trotzdem ein Miststück.« Er ging davon.
Dóra sah ihm nach, bis er mit der Bestellung in der Küche verschwunden war. Offensichtlich hatten nicht alle dieselbe Meinung über Birnas Redlichkeit wie Jónas. Falls es sich überhaupt um Birna handelte.
Nach dem Essen ging Dóra wieder in ihr Zimmer. Sie hatte von dem Kellner nichts Weiteres in Erfahrung bringen können, nur, dass er Jökull hieß. Am Ende hatte sie allein im Speisesaal gegessen, denn kurz nachdem der Kellner mit ihrer Bestellung gegangen war, hatte sich der ältere Herr erhoben und den Speisesaal verlassen, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Dóra hatte ihn beobachtet und wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihn irgendwoher kannte. Aber sie kam nicht darauf, wer er war. Er hätte auch ein Busfahrer aus ihrer Kindheit sein können, aber irgendwie kam er ihr vertraut vor.
Dóra war klar, dass es am vernünftigsten wäre, sich genauer mit dem Inhalt des Kartons zu beschäftigen oder Birnas Kalender durchzusehen, aber die Verlockung, unter die Dusche zu gehen, den Staub aus dem Keller abzuwaschen und sich einen Moment hinzulegen war zu groß. Mittagsschläfchen waren ein Luxus, den sie sich nur selten gönnte. Zu Hause gab es immer genug zu tun, und das Bett war dort auch nicht so einladend, weich, frisch bezogen und schön. Sie ließ sich hinreißen.
Dóra schreckte hoch. Sie hatte das Telefon so eingestellt, dass es sie nach einer Stunde wecken würde, aber es hatte keinen Laut von sich gegeben. Verwirrt schaute Dóra sich um. Als sie ein Klopfen an der Tür hörte, kam sie zu sich. Sie reckte sich nach dem Bademantel, den sie nach dem Duschen übergezogen hatte und rief heiser: »Wer ist da?« Niemand antwortete, aber es klopfte erneut. Sie zog den Bademantel an, eilte zur Tür, öffnete sie einen Spalt und schaute hinaus. »Hallo?«
»Hallo, meine Süße«, sagte Matthias. »Willst du mich nicht reinlassen?«
Dóra verfluchte sich selbst dafür, dass sie ungeschminkt war und auf ihrem nassen Haar geschlafen hatte. Sie versuchte erfolglos, ihre zerzauste Frisur zu bändigen. »Ach, hallo. Du hast es also gefunden.«
Matthias betrat lächelnd den Raum. »Selbstverständlich. So schwer war es nun auch wieder nicht.« Er sah sich um. »Schickes Zimmer.« Sein Blick fiel auf den Karton der Sexratgeberin.
Dóra schaffte es nicht mehr, ihn aus Matthias’ Blickfeld zu schieben. Sie lächelte verlegen.
»Ich sehe schon – ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen«, sagte der Deutsche.
9 . KAPITEL
Dóra hatte die Gegenstände, die der Karton in seinem früheren Leben beherbergt hatte, noch nie ausprobiert. Sie war sich jedoch ziemlich sicher, dass derartige Geräte es genauso wenig mit den Originalen aufnehmen konnten wie andere Nachahmungen in dieser Welt. Sie lächelte und setzte sich halb auf. Der Bademantel lag zerknautscht neben dem Bett, und Dóra reckte sich träge danach. Schon seltsam, dass ich so etwas nicht öfter tue, dachte sie, als sie in den Bademantel schlüpfte und ihre Klamotten zusammensuchte. Matthias war nach draußen zu seinem Mietwagen gegangen, um das Gepäck zu holen und es in sein Zimmer zu bringen. Dóra vermutete, dass er sich dort wohl kaum viel aufhalten würde, schätzte jedoch die ihr entgegengebrachte Höflichkeit. Sie lächelte im Stillen, denn sie merkte, dass sie sehr glücklich war, ihn zu sehen, und sich freute, dass er trotz ihrer Einwände gekommen war.
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