Das gefrorene Licht. Island-Krimi
Sóldís richtete sich auf.
»Woher weißt du, dass die Polizei am Strand war?«
Sóldís schaute Dóra verstimmt an. »Ich kenne alle hier. Meine Tante hat mich angerufen und es mir erzählt. Glaubst du etwa, die Leute bemerken die Polizei nicht?«
»Doch, doch«, antwortete Dóra, »natürlich tun sie das.« Sie dachte kurz nach. »Aber diese Fischer waren doch bestimmt Männer. Gibt es keine Geschichte von einem Geist, der ein Kind war? Ein kleines Mädchen?«
Sóldís überlegte mit nachdenklichem Gesicht. »Du meinst den Geist, von dem die Leute hier im Hotel reden?«
»Ja, genau«, antwortete Dóra hoffnungsvoll. »Was denkst du darüber? Hat dir deine Oma über den was erzählt?«
»Hab sie gefragt, sie wusste nichts. Aber ich hab von einer anderen Frau gehört, dass es vielleicht die Tochter des Bauern sein könnte, der früher hier gelebt hat. Ich glaube, er hieß Bjarni.« Sóldís schwieg einen Moment. »Diese Frau hat mir erzählt, alle hätten davon geredet, dass dieser Bjarni seine Tochter missbraucht hätte. Inzest.«
»Was?«, entfuhr es Dóra. Sie rief sich die Fotos von Guðný und ihrem Vater Bjarni aus dem Album ins Gedächtnis. Auf diese Idee wäre sie nie gekommen.
Das Mädchen zuckte die Achseln. »Sie sind dann beide gestorben. An Tuberkulose.«
Dóra nickte langsam. »Tja, also, was glaubst du denn? Dass dieses Mädchen, das hier gelebt hat, der Geist ist?«
Sóldís schaute Dóra direkt in die Augen. »Ich habe zwar den Geist gesehen, aber nie das Mädchen. Woher soll ich es dann wissen?«
»Du hast den Geist gesehen?«, fragte Dóra verblüfft.
»Ja«, lautete die herablassende Antwort. Sóldís’ Blick war provozierend, so als wolle sie Dóra herausfordern, den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage anzuzweifeln.
»Verstehe«, entgegnete Dóra vorsichtig. »Wo hast du ihn denn gesehen, wenn ich fragen darf?«
»Hier draußen. Im Nebel. Ich hab ihn nicht genau gesehen, aber es war ganz sicher ein Mädchen.«
Dóra nickte. »Und es war kein Kind aus der Nachbarschaft?«
Sóldís lachte spöttisch. »Aus der Nachbarschaft? Welche Nachbarschaft? Das nächste Kind wohnt fünf Kilometer entfernt und ist ein Junge, verstehst du. Der würde wohl kaum hierherwandern und dann im Nebel rumirren. Wozu?«
Dóra musste zugeben, dass das unwahrscheinlich war. Sie überlegte, ob sie noch etwas fragen wollte, als ihr Handy klingelte.
»Hallo Dóra«, sagte Matthias’ vertraute Stimme. »Kannst du dich dazu durchringen, mir zu sagen, wo du bist, oder soll ich einen Suchtrupp losschicken? Ich bin in Keflavík. Gerade gelandet.«
8 . KAPITEL
»Ich sag doch – in mein Lager ist eingebrochen worden!«, verkündete Stefanía und stemmte wütend die Hände in die Hüften. Sie versuchte, sich von Vigdís’ gemeinem Kichern nicht irritieren zu lassen. Aber sie hatte wirklich die Nase voll. Jemand hatte das Schloss des kleinen Lagerraums, in dem sie ihre Waren aufbewahrte, aufgebrochen, und auch wenn nichts abhanden gekommen war, war das eine ernste Sache. Stefanía hatte sich allerdings schon längst daran gewöhnt, dass die Frauen oft nur begrenztes Verständnis für sie aufbrachten. Sie wusste nicht, ob es an ihrem guten Aussehen lag oder doch eher mit ihrem Arbeitsgebiet zusammenhing – Sexualberatung. Meistens hatte sie das Gefühl, ihre Geschlechtsgenossinnen seien der Meinung, sie hätte diesen Job nur gewählt, um die Chance zu haben, sich an bereits vergebene Männer heranzumachen, was völlig abwegig war. Sie konnte schließlich auch nichts dafür, wenn die sich ab und zu an sie heranmachten. Missbilligend runzelte sie die Stirn. »Das ist nicht witzig. Das Schloss ist total kaputt. Du kannst gerne mitkommen und es dir anschauen, wenn du mir nicht glaubst.«
Vigdís hob die Brauen. »Völlig unnötig, sich so aufzuregen. Es gibt überhaupt keinen Grund, wegen eines Einbruchs so ein Theater zu machen, wenn überhaupt nichts gestohlen wurde.« Vigdís drehte sich wieder zu ihrem Computer. Sie konnte Stefanía und ihr Sexgerede nicht ausstehen. Immer musste sich alles um diese Frau drehen, egal, wo sie auftauchte, und mit diesem Quatsch über den Einbruch wollte sie doch nur Aufmerksamkeit erregen. Aber es war ziemlich unwahrscheinlich, dass es ihr diesmal gelingen würde, denn sie musste sich mit einem Leichenfund messen. Vigdís blickte vom Bildschirm zu Stefanía und sah sie scharf an. »Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?«
Stefanía würde es begrüßen, wenn sich diese Zicke von
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