Das gefrorene Licht. Island-Krimi
dass nach ihm und seiner Frau eine andere Familie hier eingezogen ist.« Dóra trat zu einer kleinen Tür in der Wand. Sie öffnete sie vorsichtig. Es war ein Kleiderschrank mit einer Stange und zahlreichen Holzbügeln. An zweien hingen Kleidungsstücke: ein hübscher Pullover und ein dünnes, unförmiges Baumwollkleid. Beide Teile waren zu groß für die Edda, die laut Fotoalbum mit vier Jahren gestorben war.
»Was ist denn dahinter?«, fragte Matthias und zeigte in den Schrank.
Dóra steckte ihren Kopf tiefer hinein und erblickte in der hinteren Schrankwand eine Leiste um eine viereckige Fläche, die nicht ganz zu der sie umgebenden Wand passte. Als Dóra gegen die Fläche drückte, fiel sie herunter. »Hey, wow!«, stieß sie hervor. »Da ist eine kleine Tür. Guck mal, eine Treppe führt nach oben.« Abwechselnd schauten sie in die dunkle Öffnung, und Matthias zückte seinen Autoschlüssel. Daran war ein kleines Lämpchen, das wie eine Taschenlampe funktionierte. Er beleuchtete die Treppe. »Da«, er zeigte auf eine Stufe und leuchtete sie an, »Fußspuren im Staub. Jemand muss da raufgegangen sein.«
»Birna. Bestimmt Birna«, sagte Dóra mit Nachdruck. »In ihrem Kalender hat sie den Zustand der tragenden Elemente notiert. Sie wollte wissen, wie abgenutzt die Dachsparren sind. Hier muss es zum Dachboden gehen. Komm, lass uns raufklettern.« Sie schaute Matthias an, der ihr zulächelte.
»Okay, warte hier, ich gehe runter und hole ein Messer. Ich muss mir nur den Arm abschneiden und die Schulter wahrscheinlich auch.« Er zeigte auf die Öffnung. »Da passe ich niemals durch.«
»Dann gib mir den Schlüssel«, entgegnete Dóra. Sie schob ihn sich zwischen die Zähne, kletterte in den Schrank und zwängte sich durch die enge Öffnung. Bevor sie die Stufen hinaufstieg, drehte sie sich zu Matthias um und grinste breit. »Bis später. Wenn ich auf eine Ratte stoße, bringe ich dich um.« Sie trat auf die erste Stufe, hielt inne und ging rückwärts wieder zur Öffnung. »Oder eine Maus. Ich bringe dich auch um, wenn ich auf eine Maus trete.«
Der Dachboden war vollkommen leer. Dóra ließ den matten Lichtschein über den Fußboden wandern und sah, dass Birna dort herumgelaufen war. Dóra war es nicht ganz geheuer, den Boden zu betreten. Sie hatte keine Ahnung, ob er sie tragen würde. Birna war wesentlich kleiner gewesen als sie, zumindest war ihre Kleidung viel zu kurz für Dóra. Deswegen hätte sie den Dachboden lieber von der Treppe aus betrachtet, aber als der Lichtschein auf etwas Glitzerndes an einem der Pfosten fiel, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen. Vorsichtig tastete sie sich über den Boden. Es knackte und knarrte bei jedem Schritt, und Dóra hätte sich nicht gewundert, wenn sie plötzlich eingebrochen und auf Matthias in der darunterliegenden Etage gelandet wäre. Oder noch schlimmer – im Badezimmer. Sie ließ den Lichtschein über die Dielen wandern und sah, dass Birna – oder wer auch immer die Fußspuren hinterlassen hatte – auch dort entlanggegangen war. Als Dóra endlich bei dem Pfosten angekommen war, ging ihr Atem wieder ruhiger. Sie beugte sich hinunter und leuchtete den Boden ab.
Schmuck. Spielzeug besser gesagt. Dóra lächelte und hob eine geflügelte Anstecknadel hoch, eine Art Pilotennadel. Dóra betrachtete sie in dem trüben Licht, legte sie wieder an ihren Platz und hob eine gesprungene Porzellantasse auf. Dort lagen noch mehr Gegenstände: ein schwarz angelaufener Silberlöffel, zwei weiße Kinderzähnchen und eine Halskette mit einem Kreuz. Ein paar Schnappschüsse von Filmstars waren ordentlich aufeinandergestapelt. Sie beleuchtete den Holzpfosten und beugte sich ganz nah heran. In den Pfosten war etwas eingeritzt. Dóra hockte sich so hin, dass sie es lesen konnte.
»Matthias!«, rief sie. »Hier steht der Name Kristín!«
»Was?«, tönte es zurück.
Sie beugte sich wieder vor und las die Inschrift ein letztes Mal, um sie Matthias wiedergeben zu können. Offenbar konnte er sie nicht hören.
papa hat kristín getötet
ich hasse papa
11 . KAPITEL
»Ja, wie gesagt, die Verkäufer wollten den Kram endlich abholen«, erklärte Jónas und lehnte sich im Stuhl zurück. Sie hatten es sich in einer Nische am Kamin neben der Bar, umgeben von alten Fotografien, gemütlich gemacht. »Ich hatte Birna gebeten, sie über die Anbaupläne am alten Hof zu informieren, damit sie die Dinge, die sie haben wollten, vor Baubeginn abholen konnten. Aus der Sache mit dem Anbau
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