Das Gegenteil von Schokolade - Roman
kann gar nichts dabei finden, mit ihr einen Kakao im Café zu trinken, der meinen Schokohunger befriedigen und mich dann bettschwer nach Hause leiten wird.
Ich gehe vor ihr, teile die Menge für uns. Und weil manchmal einfach alles glatt geht, finden wir im Café gleich zwei Stühle. Antonie balanciert von der Theke aus zwei Tassen herüber, und wenige Minuten später sitzen wir uns mit weißen Damenbärten gegenüber, die wir uns genüsslich wegschlecken.
Dann lehnt Antonie sich bequem zurück und seufzt behaglich. Ich kann nicht anders, als sie fasziniert anzustarren. Das ist wieder so ein Moment, wie ich ihn mit ihr auch schon beim Griechen erlebt habe. Ich erlebe sie den Großteil der Zeit so unruhig, dass es schon fast hektisch zu nennen wäre. Immer in Bewegung, immer auf dem Sprung zur nächsten Tat, die Augen rechts und links. Dass sie jetzt mit einem Mal, in all diesem lauten Trubel hier, so zusammensinkt wie daheim auf dem Sofa, das ist wirklich verblüffend.
»Erzähl doch mal«, schlägt sie vor, als würden wir miteinander auf einer einsamen Parkbank sitzen, keine Menschenseele weit und breit. »Wie war dein allererster Schwof?«
Die Tasse in meiner Hand gerät ein wenig schief. Aber ich schaffe es zumindest innerlich, das Gleichgewicht zu behalten.
»Um ehrlich zu sein: Das hier ist erst mein zweiter«, beginne ich und tue so , als würde ich ihren erstaunten Gesichtsausdruck gar nicht bemerken. »Mein erster Schwof … den hab ich vor einem Jahr etwa zusammen mit Michelin erlebt.« Sie erwidert nichts, obwohl ich ihr mindestens zehn Fragen auf einmal an der in plötzliche Falten gelegten Stirn ablesen kann. Weil sie nichts sagt, fahre ich, von einem plötzlichen Bedürfnis nach Ehrlichkeit übermannt, fort: »Damals war ich noch mit Lothar zusammen. Wir waren sechs Jahre zusammen, bis vor ein paar Monaten. Da habe ich mich dann von ihm getrennt.«
Antonies Augen wechseln die Farbe. Ich dachte, sie seien grau. Bisher waren sie grau, so ein dunkles, lebendiges Grau, das an sich schon Anlass zur Verwunderung bieten würde. Denn normalerweise wirken graue Augen doch eher kühl und abweisend, nicht so warm und spritzig wie ihre. Aber dass diese Augen die Farbe wechseln können, das ist nun wirklich absolut erstaunlich. Denn vielleicht, denke ich jetzt gerade, vielleicht sind sie in Wirklichkeit braun. Ein tiefes, beinahe schwarzes Braun. In dem nichts zu lesen ist. Nur ein großes Zögern. Eine Unsicherheit, die fragt, ob alles, was sie bisher in Verbindung mit mir gedacht hat, vielleicht ein Trugschluss war.
Ihre Augen machen mich von einer Sekunde zur nächsten plötzlich wieder sehr müde.
Sicher. Sie ist von etwas anderem ausgegangen. Wenn ich auch nicht weiß, wieso das so war. Wir haben uns beim Spaziergang getroffen. Und in einer Tierarztpraxis. Und dass ich Flyer von einem Theaterstück dabeihatte, in dem es zufällig um ein Frauenliebespaar geht, das muss doch nichts bedeuten. Aber dennoch ist sie von etwas anderem ausgegangen. Deshalb ihr Anruf. Deshalb ihr Blick zu mir, unter den hellen Ponyfransen heute Nachmittag. Deshalb ihr Lächeln beim Tanzen heute Abend. Eine andere Voraussetzung hat all das geschaffen. Jetzt ist es anders.
»Und?«, fragt sie mit unveränderter Stimme. Wenigstens ihre Stimme ist unverändert.
Ich schaue ein Fragezeichen.
»Und wie war denn nun dieser erste Schwof? Vor einem Jahr? Oder willst du nicht erzählen?«
Jetzt starre ich, umklammere die Kakaotasse in meinen Händen.
Sie ergänzt: »Ich meine, wahrscheinlich sind sich alle Geschichten über den ersten Schwof ziemlich ähnlich. Du weißt schon, dass man die erste halbe Stunde ständig glaubt, einen Mann in der Menge gesehen zu haben und so. Oder war das für dich nicht so?«
Irgendwie ist ein Klecks Sahne auf ihre Nasenspitze geraten.
Aber das ist nichts, was mich jetzt irritieren könnte. Meine Fassung ist sowieso dahin.
Weil sie nichts von dem sagt, was ich jetzt erwartet habe. Nichts von dem, was ich in ihren andersfarbigen Augen zu lesen glaubte. Emma, denke ich, Emma ist auf eine Art und Weise so sehr sie selbst, dass sie für mich zu einem hohen Prozentsatz einschätzbar ist. Ihre Reaktionen, ihre Sätze und Anmerkungen sind berechenbar für mich. Aber die hier … nein, die ist nun wirklich das echte Gegenteil …
»Ich wollte eigentlich gar nicht mitgehen«, stammele ich. Um etwas zu sagen. Denn sie sieht mich immer noch an. »Aber Michelin hat mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Sie hat
Weitere Kostenlose Bücher