Das Gegenteil von Schokolade - Roman
dass ich mal wieder Schatten an der Wand deute. Und könnte ebenso gut sein, dass ich eine freundliche Geste missverstehe.
So eine freundliche Geste wie die, dass sie irgendwann, nach zwei durchtanzten Musikstücken, zufällig hersieht, stutzt, winkt und sich sofort durch die herumhopsenden und hin und her schwingenden Frauen einen Weg bahnt zu mir.
Sie gibt Michelin und Angela die Hand. Ich kann Michelin ansehen, dass sie sie spontan mag. Das erkenne ich an ihren Mundwinkeln, die sich entspannt nach oben ziehen, während ihre Augen immer wieder wie beifällig über Antonies Gesicht huschen.
Angela macht, wie immer, einen eher reservierten Eindruck. Aber nachdem Antonie in ihrem mittlerweile für mich schon vertrauten Stakkato eine witzige Anekdote des Abends geschmettert hat, lacht auch sie herzlich und knickt ihre Hüfte wieder in die relaxte Kontrapost-Stellung ein.
»Das ist toll, dass du hier bist!«, teilt Antonie mir gerade unter Hinbeugen zu mir und Hauchen auf mein Ohr mit. Ob sie das bewusst macht? Oder ob sie keine Ahnung hat, wie sich das für die andere – nämlich mich – anfühlt, wenn sie das tut? »Ich bin ausnahmsweise mal allein unterwegs, weil keine von meinen Freundinnen Bock hatte. Aber keine Angst.« Sie lacht heiter. »Ich werd dir nicht ständig am Rockzipfel hängen. Ich tanze viel und werd mich auch mal woanders hinstellen …«
Dazu guckt sie mich dann an, also, das kann ich gar nicht beschreiben.
»Brauchst du aber wirklich nicht«, erwidere ich schnell. Vielleicht ein bisschen zu schnell, schießt es mir gleich durch den Kopf. »Michelin und Angela sind sicher froh, wenn ich mich mal nicht in ihre Unterhaltungen einmische.«
Ich habe den Eindruck, dass damit geklärt ist, dass wir den Abend mehr oder weniger miteinander verbringen werden. Denn als sie sich etwas zu trinken holt, kommt sie zu mir zurück, und später, als sie merkt, dass ich wieder mitwippe, stößt sie mich an: »Komm doch mit!«, und ist schon auf dem Weg zur Tanzfläche.
Logisch. Sicher. Klar gehe ich mit. Und habe auf dem Weg ihr nach die ganze Zeit Michelins Gesichtsausdruck vor Augen. Dieses vermeintlich Desinteressierte unter ihren hochgezogenen Brauen kann mich nicht täuschen. Denn in ihren Augen blitzt es nur so vor lauter Amüsement und Neugierde. Ich wette, sie möchte mich nach jedem für sie unverständlichen gesprochenen Wort zwischen Antonie und mir anhauen: »Was hat sie gesagt? Erzähl!«
Wir tanzen ein paar Lieder. Dann stellen wir uns wieder an den Rand und reden über Belangloses. Dann tanzen wir wieder ein paar Lieder. Dann stehen wir wieder. Dann tanzen wir. Und tanzen. Und da geschieht etwas Merkwürdiges: Antonie schließt sich in sich ein. Indem sie ihre Lider senkt, ist sie verloren für den Rest der Welt. Zumindest für die Ansprache. Fürs Anschauen natürlich nicht.
Und das tue ich einfach hin und wieder. Nicht zu lange. Und immer ohne zu lächeln. Obwohl ich es gerne tun würde. Aber ich will nicht, dass irgendeine bemerkt, wie ich eine Frau angrinse, die mit geschlossenen Augen auf ihre besondere Art tanzt.
Antonies Augen bleiben die ganze Zeit geschlossen, während ihre Lippen ein Lächeln umspielt, das selbstversunken und hingebungsvoll aussieht.
Für einen Moment, vielleicht nicht einmal eine Sekunde lang, vielleicht aber auch viele davon, uneinschätzbar für mich selbst, sehe ich ein Bild vor mir wie eine Vision.
Ich sehe meine Fingerspitzen ihre geschlossenen Lider liebkosen mit einem sanften Streicheln, das ausfließt in ihre Schläfen und hinein in die schweißsträhnigen Haare. Und in dem Moment, in dem der Schreck über dieses deutliche Bild am größten ist, öffnet sie die Augen. Ihr Blick gleitet durch mich hindurch, glasig entstellt. Hätte ich nicht gerade noch ein normales Gespräch mit ihr geführt und seitdem alle ihre Bewegungen miterlebt, würde ich vermuten, sie habe Drogen genommen. Irgendwas, das einen aussehen lässt, als sei der Geist irgendwo in einem fernen Traum gefangen.
Bevor ihr Blick mich erreicht und bevor sie die Augen wieder schließt, löst dieser Gedanke blanke Irritation in mir aus. Aber dann … sie wieder hineinströmen zu sehen in die Musik, lässt etwas in mir Klickerklacker machen, und ich begreife. Es ist das Tanzen. Es sind die Bewegung und der Rhythmus, die sie high machen.
Und jetzt und hier ist genau sie es, die mich high macht.
Das werde ich besser niemandem erzählen.
Schwer genug für alle, dass ich plötzlich mit meiner
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