Das Gegenteil von Schokolade - Roman
geschehen ist zwischen uns.
Emma nimmt eine Hand aus ihrem Muff und fährt sich damit übers Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hat. »Ich weiß nicht, wieso ich mich so lange nicht bewegen konnte. Ich habe es nicht gewagt, dir zu begegnen, weil ich mich davor fürchtete, dass sich damit alles verändern würde. Dabei hatte sich schon alles verändert.«
Eine helle Stimme in meinem Kopf. Das Verharren in einer Beziehung, bis eine andere kommt. Gibt es oft. Und nichts finde ich … erbärmlicher.
»Ein Königreich für deine Gedanken«, sagt Emma und lächelt tiefgründig.
Ich fühle mich ertappt, und deswegen erwidere ich schnell: »Du solltest nichts anbieten, was du nicht besitzt.«
»Au«, macht Emma und sieht plötzlich verschmitzt aus. »Ich glaube, ich sollte besser aufpassen, was ich sage.« So habe ich sie mir immer vorgestellt, mit diesem Gesichtsausdruck, amüsiert, charmant, überlegen.
»Und was sagt Ramona dazu, dass du mich nun doch besuchst?«, möchte ich wissen. Hoffentlich erzählt sie mir jetzt nicht, dass dies hier eine heimliche Begegnung ist, die in Zukunft verschwiegen werden muss. Auf so was steh ich nun gar nicht.
Emma atmet weiße Wölkchen in den Nachmittag.
»Wir haben uns getrennt«, sagt sie.
Viel einfacher hätte sie es nicht ausdrücken können.
»Aber doch nicht … aber doch nicht wegen mir …?«, stottere ich.
»Ach, Frauke«, murmelt Emma. »Ich kenn dich doch gar nicht.« Die tiefe Traurigkeit, die ich auch in ihren E-Mails oft zu spüren glaubte, senkt sich über sie und berührt auch mich. Es ist, als spürte ich, was sie fühlt. Als sei unser Erlebtes so ähnlich, dass es sich übereinander legt wie zwei Schablonen. Heraus aus der langjährigen Geborgenheit einer festen Beziehung, plötzlich allein, ohne einen vertrauten Menschen an der Seite. Und vor einem Nichts aus Ungewissheit.
Wir haben wirklich einiges gemeinsam.
Das haben wir beide von Anfang an gespürt.
»Möchtest du noch mit zu mir kommen? Schätze mal, es gibt noch eine Menge zu erzählen«, lade ich sie ein und höre selbst, dass dies ganz bestimmt nach Meta-Ebene klingt.
Emma lächelt erfreut. Doch als sie mich anschaut, schleicht sich etwas in ihre Züge, das wie Vorsicht aussieht.
»Darf ich dich denn auch was fragen?«
»Sicher.«
»Was ist jetzt mit Antonie?«
Antonie.
Sie wartet in der griechischen Grillstube auf mich. Vielleicht schon nicht mehr. Vielleicht ist sie zurück in der Tierarztpraxis, und vielleicht denkt sie bei jedem Hund an Loulou und an mich.
»Ich weiß nicht«, antworte ich wahrheitsgemäß und trete vor drei oder vier Tannenzapfen, die mir im Weg herumliegen. »Ich hab keine Ahnung, was mit ihr ist. Es ist, als würdet ihr aus zwei verschiedenen Welten stammen …«
»Da frage ich mich doch, in welcher der beiden Welten du lebst«, gibt Emma vorsichtig zu bedenken. »Und hör auf, die armen Zapfen zu treten.«
Da ist zum ersten Mal unser gemeinsames Lachen.
Ich kann es nicht recht glauben. Aber sie ist da.
Als ich die Wohnungstür aufschließe und Loulou hineinschleuse, direkt zum Bad.
Als ich, die Dusche in der Hand, wirr und zerzaust dort stehe und meinem Hund Matsch, Laub und etwas Undefinierbares, Stinkendes aus dem Fell wasche.
Als ich dumm in der Küche herumstehe, wartend, dass der Kaffee durchgelaufen ist.
Sie ist einfach da.
Und sie ist … wow.
Meinst du, hat Katja mich mal gefragt vor Urzeiten irgendwann, meinst du, wenn der Typ, der es sein soll, wenn der also auftaucht und du zum ersten Mal mit ihm allein bist, meinst du, du merkst es dann sofort? Ich meine, wie fühlt sich das dann wohl an?
Ich hatte geglaubt, dass ich es spüren würde. Diese Perspektiven, die sich da plötzlich eröffnen würden, ganz deutlich. Ich dachte, ich würde es fühlen, dass mit diesem Menschen alles möglich wäre im Leben.
Aber in Wahrheit fühle ich nur grenzenlose Nervosität und Lampenfieber. Ja, Lampenfieber. Denn ich weiß, dass sie mich küssen will. Und ich will sie ganz sicher auch küssen. Hundertprozentig sicher will ich das. Ich kann kaum auf einen anderen Fleck in ihrem Gesicht gucken als auf ihren Mund, wenn ich sie anschaue. Deswegen schaue ich sie nicht so häufig an. Nur hin und wieder. Aber ich glaube, das reicht schon, um mich zu entlarven. Ich wette, sie weiß, dass ich sie küssen will und dass ich weiß, dass sie mich küssen will. Ich kann ja nur hoffen, sie erwartet nicht in irgendeiner übersteigerten Vorstellung von meinem Mut, dass
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