Das Gegenteil von Schokolade - Roman
mich da plötzlich.
Emma. Wo will ich hin. Mit diesen Augen. Dem ernsten Mund.
Ich kann nicht antworten, weiß nichts.
»Wenn es wichtig ist, sollte ich vielleicht später wiederkommen?!«, setzt sie hinzu, und da begreife ich erst, was sie gemeint hat mit ihrer schlichten Frage.
Wir befinden uns nicht auf einer Meta-Ebene, auf der wir uns gegenseitig unsere Lebenswege aufzeigen und uns fragen, wohin wir noch gelangen wollen. Nein, sie spielt ganz einfach darauf an, dass ich immer noch in meiner Jacke hier hocke, Loulous Leine in der Hand.
Mein armer Hund, der sich inzwischen seufzend wieder lang ausgestreckt hat, in der Gewissheit, dass dies hier wohl länger dauern wird.
»Oh, eigentlich wollte ich nirgendwo Bestimmtes hin. Ich wollte einfach nur raus«, erkläre ich ihr und finde dies dann doch wieder ziemlich metaphorisch. »Ich muss ja mit Loulou spazieren gehen …«
Über Emmas Gesicht huscht ein liebevolles Lächeln, als ich diesen Namen ausspreche.
Loulou. Das bin ich für sie. Ebenso wie sie jeder silberne Mond für mich ist.
»Das sind die Verpflichtungen einer Hundebesitzerin«, entschuldige ich mich. »Und wegen denen muss ich manchmal auch unhöflich sein und gerade erst hereingebetenen Besuch wieder rausbegleiten.«
Emma steht sofort auf.
Ihr langer dunkler Mantel trägt am Kragen einen feinen Webpelz, über dem ihr Gesicht aussieht wie aus Porzellan. Ich würde sagen, Emma ist eine Schönheit. »Wenn du schon von begleiten sprichst: Vielleicht könnte ich dich ja bei deinem Verpflichtungsspaziergang begleiten? Ich stelle es mir schön vor, mir jetzt ein bisschen kalte Luft um die Nase wehen zu lassen!«
Ich sehe sie verwundert an. Vielleicht weil ich mir ihre elegante Gestalt kaum vorstellen kann bei einem echten Hundespaziergang, dreckbespritzt und nassgeregnet.
»Du weißt noch gar nicht, was man alles mit mir teilen kann …«, stellt Emma leise fest, als habe sie meinen Gedanken erraten. Ich spüre eine leichte Hitze in meinem Gesicht aufsteigen und beeile mich, zur Tür zu kommen.
Wir gehen zum Wald, der winterlich duster aussieht von außen. Aber sobald wir ihn betreten, bietet er Schutz und Geborgenheit. Ich atme tief, und Emma sieht dem kurzlebigen Nebelgebilde nach, das von meinem Mund davonstiebt.
»Du fragst ja gar nichts«, stellt sie nach einer Weile fest, in der wir nur über Loulou, das Matschwetter, die Vor- und Nachteile von Gummistiefeln gesprochen haben.
Es hilft nichts, sich dumm zu stellen und so zu tun, als wisse ich nicht, was sie meint und was ich denn fragen solle. Ich weiß es ja.
»Um ehrlich zu sein, fällt mir keine einzige gescheite Frage ein, an die du da wohl denkst«, gestehe ich. »Ich glaube, ich stehe unter Schock oder so.«
Emma vergräbt ihre Hände tief in ihrem Muff.
»Ist der echt?«, erkundige ich mich.
Sie betrachtet das Fell. »Ich denke schon. Er hat meiner Oma gehört. Wird wohl Kaninchen sein.«
»Hm«, mache ich. Wer Gyros-Teller verputzt, darf sich über Kaninchenfell am Muff bestimmt nicht echauffieren.
»War das jetzt eine von deinen Fragen an mich?«, versucht Emma einen Scherz.
Da bleibe ich mitten auf dem Waldweg stehen und sehe sie an. Zum ersten Mal ganz offen und frei.
Hier ist sie also.
Alle Gedichte, alle Schwärmerei, jeder aufgeglühte Funke steht hier vor mir.
»Du bist lustig!«, brumme ich da. »Über Wochen weiß ich nicht, wer du wirklich bist. Aber du lässt nicht los. Und jetzt stehst du hier, weil du Angst hattest, dass ich mich vom Acker mache, und willst, dass ich dir Fragen stelle. So einfach ist das nicht.« Dann drehe ich mich um und gehe langsam weiter.
Emma folgt mir.
»Du hast ja Recht«, sagt sie zerknirscht. Ihre rauchige Stimme vibriert dabei, als tanze ihr Kehlkopf auf und nieder. »Aber ich hätte anfangs wirklich nie im Leben geglaubt, dass es solche Ausmaße annehmen könnte. Ich hab schon öfter Frauen über den Chat kennen gelernt. Aber noch nie …«
Dazu sage ich besser nichts. Ich habe vor ihr noch nie eine Frau übers Internet kennen gelernt. Ich habe sozusagen beim ersten Versuch gleich den Jackpot geknackt. Falls das hier tatsächlich der Hauptgewinn ist. Das muss sich ja erst noch rausstellen.
»Vielleicht war es, weil Ramona und ich diese schwere Krise hatten«, fährt sie gedämpft fort. Ramona heißt sie also. »Wir haben uns über lange Strecken immer nur an den Wochenenden gesehen, weil sie an der Uni Köln arbeitet und keine von uns jeden Tag pendeln wollte. Das ging eine
Weitere Kostenlose Bücher