Das Gegenteil von Schokolade - Roman
einfach.
Es ist schon spät, als ich es endlich wage.
Die Nummer, die sie mir mit etwas ungelenker Schrift auf einen Zettel notiert hat, ist ganz fremd. Diese vage Frage, ob mir diese Zahlenkombination wohl vertraut werden wird, verbunden mit angenehmen Gefühlen, schießt mir durch den Kopf, und ich wische sie weg. Gerade rechtzeitig, bevor sie abnimmt.
»Hallo?«, meldet sie sich.
Ich hole tief Luft. »Hi, ich bin’s. Ich meine, ich bin’s, Frauke …«
»Oh, du bist’s!« Ihre Stimme klingt erfreut. »Eine Sekunde bitte!« Sie hält die Muschel des Hörers zu, aber ich kann hören, wie sie in den Hintergrund des Raumes ruft: »Geh doch schon mal vor! Ich komm sofort nach, ja?«
Dann ist sie wieder da.
»Schön, dass du anrufst! Das war wohl etwas knapp gestern, wie?« Ich kann sie lächeln hören.
»Na ja, ich hatte Besuch und hätte eh nicht kommen können«, antworte ich, ohne zu erwähnen, dass ich aber eigentlich das spontane Treffen hatte wahrnehmen wollen. Ich stürzte ja bereits in Jacke und Konfusion aus der Tür, als ich Emma dort auf der Fußmatte traf. »Aber lieb, dass du angerufen hast.«
»So bin ich!«, erwidert sie, und ich kann mir vorstellen, wie sie dabei fröhlich strahlt.
Ein paar Sekunden ist es still. »Hast du jetzt überhaupt Zeit zu telefonieren? Ich hab extra spät angerufen, um sicherzugehen, dass du nichts mehr vorhaben kannst …«
Da lacht sie. »Ich kann immer! Steffi war heute Abend hier, die Freundin, mit der ich auf Mallorca war. Aber die dumme Nuss hat die Fotos zu Hause vergessen. Und da wollte ich jetzt noch mal fix mit, um sie anzusehen.«
Ich sehe auf die Uhr. Es ist Viertel nach elf. Ich käme nie auf die Idee, um diese Uhrzeit loszugehen, um mir Fotos von einem langweiligen verregneten Urlaub anzugucken.
»Wir können ja morgen telefonieren?«, schlägt sie vor. »Oder noch besser: Wir können gemeinsam frühstücken. Hast du Lust? Morgen Früh hab ich Zeit. Und du?«
»Ich? Ehm … nein, morgen Früh hab ich … ich hab einen Termin in Köln. Eine Redaktionssitzung, wo auch die Freien mit dabei sein sollen. Das kann ich unmöglich ausfallen lassen …«
»Natürlich nicht. He, aber wir sehen uns ja eh morgen, fällt mir grad ein! Da ist doch die Premiere von eurem Stück!«
»Ja«, sage ich lahm. »Darum geht es eigentlich auch. Ich wollte vorher gern noch mit dir reden. Aber nicht so zwischen Tür und Angel. Es ist schon etwas, für das ich ein bisschen Ruhe brauche.«
Es ist, als würde ihr Energiefeld plötzlich heruntergefahren. Das Flirren, das durch die Leitung zu mir herübergesprüht kam, hört schlagartig auf.
»Hm«, macht sie und dann eine Weile gar nichts. Ich sage auch nichts. »Das klingt ziemlich unangenehm. Pass auf, ich geh mal schnell runter und sag Steffi, dass sie allein heimfahren soll. Ich kann mir die Fotos ein andermal ansehen. Und dann ruf ich dich sofort zurück, okay?«
Ich bin ein Hasenfuß. Ich bin schrecklich feige. Und außerdem bin ich charakterschwach und dazu auch noch so dumm, dass es manchmal regelrecht wehtut. Sie macht mir dieses Angebot und zeigt mir, dass es ihr wichtig ist, zu erfahren, um welchen heißen Brei ich hier herumlaviere. Und was sage ich?
»Ach was, das ist jetzt echt nicht nötig! Ist ja nichts Lebenswichtiges.« Wenn ich nicht sitzen würde, würde ich mich gern selbst in den Hintern treten.
»Sicher?«, forscht sie nach. »Ist kein Problem für mich. Eigentlich ist es ja eh viel zu spät, um noch mal wegzugehen. Ich könnte also ganz einfach …«
»Nein, nein, wirklich«, unterbreche ich sie auch noch. »Guck du ruhig die Fotos an. Alles hat Zeit bis morgen.«
Jetzt lächelt sie wieder, das kann ich hören. Aber hineingemischt haben sich ein bisschen Unbehagen und eine Vorsicht, die ich auch schon in ihrem Gesicht gesehen habe.
»Okay, dann also bis morgen.«
»Bis morgen.«
»Schlaf schön.«
Ich schlucke. »Du auch.«
Das »Piep«, als sie den Hörer auflegt, hallt noch lange in meinem Kopf nach.
Ich hocke hier und starre vor mich hin. Anscheinend bin ich nicht geeignet für solche konfusen Gefühlshaushalte. Ich brauche geordnete Verhältnisse. Ich brauche einen Mann, nein, eine Frau, jedenfalls einen Menschen, von dem ich weiß, dass ich da hingehöre. Fertig.
Mit Ausnahme von einer Lampe auf der Fensterbank brennt kein Licht in der Wohnung. Meine Vorstellung wird wieder lebendig. Der Gedanke, wie ich aufstehe und hinübergehe zum Durchgang in die Küche, wo eine Frau am Herd
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