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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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England, woran dein Vater glaubte einen Anteil zu haben, war ein England, das es so eigentlich gar nicht gab.« Das hatte sie mit leiser, fast traumverlorener Stimme gesagt. »Seine Erwartungen waren so hochgeschraubt, als hoffte er, damit all das wettzumachen, was er zurückgelassen hatte.«

8
    Karel 1973
    I ch kann fast riechen, dass hier alles auseinanderfällt«, sagte Susan. Sie saßen auf der Chaiselongue der kühlen marmorierten Eingangshalle, in der es nach Bienenwachs und den Blumen roch, die draußen im Garten wuchsen. Doch es mischte sich noch etwas anderes in diesen Duft: eine unerträgliche Süße, die sich ganz hinten in seiner Nase festgesetzt hatte.
    Sie war gleich nach Ende des Trimesters hergekommen und hatte Tage mit Putzen zugebracht. Die Schatten unter ihren Augen verrieten ihm, wie hart sie gearbeitet hatte. Aber hier war mehr vonnöten, als zu putzen: Die alten Tapeten mussten entfernt, neue Kabel verlegt, neue Fensterrahmen eingepasst und die alten Möbel von den Wänden abgerückt werden, damit Luft an die feuchten Flecken kam. Karel hatte gesehen, wie seine Mutter sich mit all diesen Arbeiten in dem alten Haus in Böhmen herumgeschlagen hatte, nachdem sie seinen Vater fortgebracht hatten. Erfolglos. In der Tschechoslowakei der Nachkriegszeit fehlte es am nötigen Material. Die Vergangenheit mit ihren Demütigungen umgab sie wie Spinnennetze. Schließlich hatte man Fremde bei ihnen einquartiert – eigentlich zu ihrer Beobachtung, wie seine Mutter murmelnd gemeint hatte, um sicherzustellen, dass sie zuverlässig waren. Die neuen Bewohner hatten Linoleum auf die Holzböden gelegt und die Tapeten und die Holzpaneele überstrichen. Das Haus war gestorben.
    »Ich denke immer noch, dass du aus Letchford eine Schule machen solltest.« Er sah sich um, fast als rechnete er damit, eine dritte Person zu sehen, die diese Worte gesprochen hatte. »Du hast den Platz dazu. Du bist Lehrerin.« Er stellte sich vor, wie Kinder herumrannten, schrien und die Geister vertrieben. Er malte sich aus, wie er selbst ihnen zeigte, wunderbare Dinge aus Farbe und Papier zu machen.
    Sie blinzelte. »Eine ziemlich unerfahrene Lehrerin.«
    »Aha? Dann stell doch Leute mit mehr Erfahrung ein, um sie für dich zu führen. Fang klein an.« Er kehrte jetzt ganz den Kapitalisten heraus.
    »Wäre möglich.« Susan hatte ihm bereits erzählt, dass ihre Eltern ihr Geld hinterlassen hatten. Wovon das meiste allerdings durch die schlecht isolierten Fenster nach draußen zog oder in den feuchten Wänden versickerte.
    »Meinem Vater hätte es bestimmt gefallen, wenn hier eine Schule entstehen würde«, sagte sie träumerisch. »Wir führten oft Gespräche über Erziehung, bevor er starb. Meine Eltern waren überrascht, als ich sagte, ich wolle Lehrerin werden. Es ist ein Beruf, der nicht zur Vorstellungswelt meiner Familie passte.«
    Es gab viele Aspekte der englischen Sozialstruktur, die ihn verblüfften. Sein Freund John Andrews hatte sich Mühe gegeben, ihm die Nuancen zu erklären, aber Karel war noch nicht lange genug hier, um sie alle zu verstehen.
    Offenbar hatte sie seine Verwunderung bemerkt, denn sie ergänzte lächelnd: »Ich sollte eigentlich meine Schulausbildung in der Schweiz beenden und mir dann einen Ehemann suchen.« Sie runzelte leicht die Stirn. »Das scheint dir nicht zu gefallen?«
    »Das unterscheidet sich so stark von dem, was die jungen Frauen dort machten, wo ich aufwuchs.« Ungebeten kam ihm sie , die andere, in den Sinn. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn er sich vorstellte, sie würde losgeschickt, um zu lernen, wie man sich einen Ehemann angelte. Ein Nachmittag in Prag schwirrte ihm durch den Kopf. Sie hatte in der Wohnung ihrer Tante auf dem farbenprächtigen Teppich gelegen, den sie selbst gewebt hatte. Ihre Tante Maria war unterwegs, um sich für Fleisch anzustellen. Sie war vollkommen nackt gewesen, und die Sonne hatte ihre Haut vergoldet.
    »Gut möglich, dass ich gar nicht heiraten möchte«, hatte sie gesagt. »Vielleicht könnten wir einfach so für den Rest unseres Lebens leben.« Seit dem Frühling war dies das vorherrschende Lebensgefühl in Prag gewesen. Die Schatten waren da, sie ballten sich unsichtbar zusammen. Aber was den Augenblick betraf, da gab es nur sie, nackt, auf einem bunten Teppich mit Folkloremuster. In Karels Adern brannte das Verlangen nach ihr.
    Geh weg, sagte er ihr wieder. Nicht jetzt, nicht hier, nicht in diesem englischen Haus, wo ich lerne, ein

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