Das geheime Bild
Simon hatte sich beflissen um sie gekümmert und versucht, sie aus der Reserve zu locken, indem er ihr Fragen zu ihrer Ausbildung in Neuseeland stellte.
»Die war ein wenig anders als hier in Letchford«, war alles, was sie dazu sagte. »Es gibt da drüben sehr gute Schulen, aber meine gehörte nicht dazu. Deshalb werde ich auch noch ein paar Prüfungen ablegen müssen, falls ich auf eine britische Universität gehen möchte.«
Mir war nicht klar gewesen, dass dies eins ihrer Ziele war. »Wir werden Ihnen helfen«, sagte ich. »Welche Fächer interessieren Sie denn?«
»Ich habe mich noch nicht entschieden.« Ihre Augen ruhten auf ihrem Getränk.
»Sollte es Englisch sein, lassen Sie es mich wissen.«
»Danke.« Sie begrüßte das Angebot mit einem Kopfnicken. Heute Abend hatte sie den strengen Pferdeschwanz gelöst, und ihre Haare fielen wie ein Vorhang über ihre blassen Augen. Ich sah, dass Simon sie beobachtete. Er hatte ein weiches Herz und ging immer sehr einfühlsam mit seinen Schülern und deren Höhen und Tiefen um. Vermutlich sah er Emily im selben Licht.
Als wir die Tür erreichten, streckte er einen Arm aus, um mich daran zu hindern, sie aufzusperren. »Ich mache mir Sorgen um dich, Cordingley.«
»Nicht du auch noch.« Ich verschränkte meine Arme. »Mir geht es gut. Ich verhalte mich nicht seltsam. Ich versuche nur, wieder ins Leben zurückzufinden. Wozu mich alle ständig auffordern.«
»Ich habe nicht gesagt, dass du dich seltsam verhältst. Du wirktest nur ein wenig … spröd heute Abend, mehr nicht.« Er sah mich eindringlich an. »Was ist los, Merry?«
Ich ließ die Schultern hängen. »Ich werde verleumdet.« Das hörte sich paranoid an. Bekloppt. Das Ganze war doch nur ein Riesentheater um eine Puppe.
»Was?« Er ließ seinen Arm fallen.
»Wegen dieser blöden Reborn-Puppe. Mein Vater denkt, ich hätte die Puppe in deinen Schrank gelegt.« Ich erzählte ihm von der E-Mail. »Jetzt hat er auch noch anonym eine Notiz zugesteckt bekommen, in der behauptet wird, man habe mich die Puppe in deinen Unterrichtsraum bringen sehen.«
»Wieso zum Teufel solltest du so etwas tun?«
Ich zuckte die Achseln. Ich wusste nicht, ob Simon von meinem mentalen und emotionalen Zusammenbruch im Sommer erfahren hatte. Er war damals im Ausland gewesen. Er musterte mich sprachlos.
»Es überrascht mich, dass die Männer in den weißen Kitteln noch nicht hier sind. Dad hat sogar Cathy Jordan mitgebracht, um mit mir zu sprechen.«
»Ich dachte, du magst Cathy?«
Ich sah ihn finster an. »Tue ich auch. Solange sie auf die Muskelzerrungen der Kids Kühlpackungen legt oder mit Mädchen redet, die nicht essen wollen, weil sie lieber spindeldürr sind. Aber nicht, wenn sie Unmengen Tee kocht und beruhigend vor sich hin murmelt.« Es kam Wind auf und blies mir die Haare in die Augen. Ich schnippte sie beiseite.
»Dein Vater kann doch nicht allen Ernstes glauben, dass du das warst.« Es war eine Feststellung. »Es war ein Streich. Ich wundere mich, warum Charles die Sache so ernst nimmt.«
»Ich glaube nicht, dass er es anfangs so ernst genommen hat. Aber kaum hat sich alles ein wenig beruhigt und die Leute fangen an, es zu vergessen, passiert wieder etwas, das ihn daran erinnert.« Unter diesem Aspekt hatte ich es bisher noch gar nicht betrachtet, aber so war es wohl. Erst die E-Mail. Dann wollte man mich »gesehen« haben.
»Dein Vater trauert noch. Er ist verletzlich. Das dürfte der Grund sein, weshalb ihn bei dieser albernen Puppe seine übliche Objektivität im Stich lässt.« Er gähnte. »Wie hättest du überhaupt den Raum aufschließen sollen?«
»Vermutlich hätte ich an einem unserer Backgammonabende den Schlüssel aus deinem Cottage stehlen können.«
»Ne. Du nicht.« Aber einen kurzen Moment lang huschte etwas über sein Gesicht. Zweifelte er an mir? Aber seine Stimme klang sofort wieder warmherzig. »Ich trolle mich jetzt wohl besser. Ich muss noch die morgige Stunde über die Plantagenets planen.«
»Erzähl mir jetzt bloß nicht, diese Stunde findet am Vormittag statt?«
»Es ist die erste Stunde.« Er grinste mir ins schockierte Gesicht. »Es brennt also.«
»Wie kannst du nur deine Vorbereitungen derart auf die lange Bank schieben? Und dann noch in den Pub gehen?« Ich redete wie meine Schwester.
»Weiß nicht, vielleicht um die Angst zu spüren und so.« Er schnitt eine Grimasse. »Du kennst mich doch.« Aber er klang nicht zerknirscht.
»Hoffnungslos. Aber ein verdammt guter
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