Das geheime Bild
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Wenn ich doch nur zusammen mit meinem Mann zu Abend essen könnte. Ein von ihm gekochtes Mahl, da meine eigenen kulinarischen Fähigkeiten äußerst dürftig waren. Aber vielleicht schloss seine verstümmelte linke Hand weiteres Kochen aus.
Mit dieser gemeinsamen Mahlzeit wollte Dad mir vermutlich ein Friedensangebot machen. Mum hätte gewollt, dass ich darauf eingehe, mich wieder mit ihm aussöhne. Also würde ich mit ihm zu Abend essen. Um ihretwillen.
Fast rechnete ich damit, Cathy auf dem Sofa von Dads Wohnzimmer anzutreffen, aber er war allein. Wir unterhielten uns halbherzig über Schulangelegenheiten, während wir Zackenbarsch aßen. Er entschuldigte sich vielmals, die Filets zu lange gebraten zu haben, aber er hatte sich viel Mühe mit Kräutern und Zitronensaft gegeben, und sie schmeckten gut. Er erkundigte sich nach meinen Klassen und trug ein paar Beobachtungen zu einigen meiner Schüler bei, wobei er betonte, dass einige von ihnen in der letzten Woche wegen ihrer guten Englischarbeiten lobend erwähnt worden waren.
Die ganze Zeit über wartete ich und versuchte, mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Es war ein seltsames Gefühl, allein mit meinem Vater in diesem Esszimmer zu sitzen, wir beide allein und auf die Gesellschaft des anderen angewiesen, eine moderne Emma Woodhouse und ihr Vater. In meinem Kopf blitzte kurz das Bild auf, wie wir in zehn oder zwanzig Jahren noch immer hier zusammensaßen und einander ermunterten, doch noch etwas Suppe oder noch ein Stück Shepherd’s Pie zu essen, und uns dabei sorgten, ob die Heizung nicht zu hoch eingestellt war. Ich ließ die Schultern hängen. So sollte mein Leben nicht aussehen . Die Erinnerung an Familienessen war allgegenwärtig. An diesem Tischende stand der Stuhl, auf dem meine Mutter zu sitzen pflegte. Sie würde uns drängen aufzuessen, uns einen Nachschlag anbieten, lachen, reden. Eine glückliche Ehe, hätten die meisten Menschen gesagt. Und genau das hätte ich auch gesagt. Aber wie konnte ich das wirklich wissen?
Er nickte auf den Fisch. »Jedes Mal, wenn ich glaube, Fortschritte beim Kochen zu machen, wird mir klar, wie viel ich noch zu lernen habe.«
»Der ist lecker.« Ich schnitt ein Stück ab und aß es. Er war trotz der schwarzen Stellen außen sehr schmackhaft.
»Irgendwie habe ich die häusliche Revolution verpasst, die die Männer an die Kochtöpfe geführt hat. Wie Hugh.« Er schnitt eine Grimasse. »Entschuldige.«
»Es macht mir nichts aus, wenn du über ihn sprichst.«
»Hast du in letzter Zeit irgendetwas von ihm gehört?«
»Nein.«
Er gab keinen Kommentar dazu, und ich war ihm dankbar. »Deine Mutter war viel zu gut für mich«, fuhr er fort. »Sie machte alles.«
Zu gut, in der Tat. Sie hatte ihn so verwöhnt, dass er fast unfähig war, etwas allein zustande zu bringen. Aber er war ein praktisch denkender Mensch, sagte ich mir. Mit geschickten Händen. Er würde lernen, wie man kochte. »Als du groß geworden bist, hast du deinen Vater vermutlich auch nicht allzu häufig etwas in der Küche tun sehen?«
Er lächelte. »Ich glaube nicht, dass Papa jemals die Küche betreten hat. Aber meine Mutter war auch keine besondere Köchin. Als sie ein Kind war, hatten sie Bedienstete. Selbst während des Krieges war für gewöhnlich jemand da, der aus dem, was man auftreiben konnte, was zubereitete. Der Kommunismus brachte große Veränderungen. Ich erinnere mich, dass sie uns ein paar gute und herzhafte mitteleuropäische Suppen und Eintöpfe kochte, wenn sie die Zutaten dafür bekam.«
Geschichten aus seiner Kindheit waren selten. Die Druckerei, die sich im Familienbesitz befunden hatte, hatte der Staat konfisziert, das wusste ich. Auch das große Haus im Zentrum von Prag war ihnen weggenommen worden. Nur das Haus auf dem Land an der deutschen Grenze war ihnen geblieben. Die Behörden hatten Zuzügler aus den östlichen Gebieten einquartiert, Menschen, die für ideologisch sauber erachtet wurden und ein Auge auf die bourgeoise Familie mit ihren Verbindungen nach Deutschland hätten.
»Wenn du dir einige der Kinder hier ansiehst, wirst du sie für sehr verwöhnt halten«, sagte ich.
»Ich kannte damals keine andere Lebensweise«, fuhr er fort. »Deshalb fand ich es auch als kleines Kind nicht schlimm. Erst als ich älter wurde, machte ich mir klar, dass mein Leben immer eingeschränkt bleiben würde.«
Man hatte ihm klar zu verstehen gegeben, dass ein Universitätsbesuch für ihn nicht
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