Das geheime Bild
Freund.« Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange und schloss die Tür auf, bevor ich zu heulen anfing. »Danke für die Unterstützung«, murmelte ich beim Hineingehen. Während er sich entfernte, hörte ich Schritte, die sich von der anderen Seite des Gartens näherten, und sah kurz eine schmale Gestalt. Emily. Hatte sie unser Gespräch belauscht? Ich schob den Verdacht beiseite.
Cathy und Dad hatten die Teebecher aus meinem Wohnzimmer geschafft. Ansonsten deutete nichts darauf hin, dass sie in meiner Wohnung gewesen waren. Vielleicht waren sie gar nicht da gewesen. Vielleicht hatte ich das alles nur geträumt. Vielleicht hatte ich mir eingebildet, dass mein Vater mich für neurotisch hielt und darauf aus, Aufmerksamkeit zu erwecken. Ich setzte mich aufs Sofa und starrte die schlichten weißen Wände an, als könnten sie mir sagen, ob ich tatsächlich den Verstand verloren hatte. Nur weil ich mich nicht daran erinnern konnte, diese Dinge getan zu haben, bedeutete das nicht notwendigerweise, dass ich sie nicht getan hatte. Natürlich hast du sie nicht getan, du Idiot , flüsterte das Phantom Hugh mir ins Ohr. Ich sagte ihm, er solle verschwinden. Es ärgerte mich, dass ich noch immer seine Worte hören konnte, obwohl er mehr als deutlich gemacht hatte, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte.
»Wenn du tot wärst, würde es mir vielleicht gefallen, wenn du dich hin und wieder blicken ließest«, sprach ich in die Luft. Und musste blinzeln, als mir schockartig klar wurde, was ich da gesagt hatte. Aber es war die Wahrheit. Es wäre tatsächlich fast einfacher für mich gewesen, wenn Hugh im Staub der Provinz Helmand verblutet wäre. Dann hätte ich mich nämlich inzwischen wieder so weit gefangen, um mein Leben weiterleben zu können, anstatt in dieser Vorhölle festzustecken.
Sollte ich in jener Nacht überhaupt geschlafen haben, dann nur, um beinahe stündlich aufzuwachen, weil der Wind so heftig blies. Wind hatte ich noch nie leiden können, schon als kleines Kind steckte ich mir die Finger in meine Ohren und verzog das Gesicht, wenn er rau darüberstrich. Aber als der Wecker klingelte, zwang ich mich aufzus tehen, schlüpfte in eine Trainingshose und einen alten Pu llover, um den Hund auszuführen. Auf Samson schien der Wind stimulierend zu wirken, und er gab vor, weder meine Rufe zu hören noch zu begreifen, warum ich die Pfeife einsetzte. Aufgeregt rannte er hinter wuselnden Blättern her und bellte sie an. Seine Schnauze senkte sich, und er beschleunigte seine Schritte. Er hatte die Witterung eines Kaninchens aufgenommen und lief durch den Wald auf den Zaun zu, der das Schulgelände von der Straße abgrenzte. Während ich ihm nacheilte, hörte ich den vorbeisummenden Verkehr. Sieben Uhr morgens. Pendler waren bereits zur Bahnstation unterwegs, ganz darauf bedacht, schnell anzukommen, ohne auf das Geländer neben der Straße zu achten, ein Geländer, das ein langbeiniger Hund im Rausch der Jagd leicht überspringen konnte.
»Samson!« Der Hund reagierte nicht mit dem kleinsten Zucken seines Ohres. Er erreichte den Zaun, und einen M oment lang rechnete ich fest damit, dass er drüberspringen und im Verkehr landen würde. Ich brüllte seinen Namen. Aber er stemmte seine Hinterbeine in den Boden und hob seine Vorderläufe, um schwanzwedelnd über den Zaun zu spähen. Als ich ihn eingeholt hatte, sah ich, dass er auf ein kleines rotes Auto starrte, das in einer Feldeinfahrt auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt war. Ein Auto, in dem Emily Fleming neben dem Fahrer saß, dessen Rücken mir zugekehrt war. Das Auto hatte für die Augen eines Hundes in Größe und Aussehen durchaus Ähnlichkeit mit Hughs rotem Mini Cooper, der jetzt in der Garage eingeschlossen war. Emily drehte sich um, als ich schrie, und zeigte mir ihr zornrotes Gesicht. Sie sagte etwas zu ihrer Begleitung. Die andere Gestalt wandte sich ihr zu und von mir weg, sodass es mir unmöglich war, einen genaueren Blick auf sie zu werfen.
Ich hakte die Leine in Samsons Halsband ein und zerrte ihn vom Zaun weg, als der Motor des Wagens angeworfen wurde. Auf unserem Rückweg schimpfte ich mit ihm. Natürlich war es Emilys gutes Recht, zu so früher Stunde schon unterwegs zu sein, um einen Freund zu treffen. Aber sie hatte keinen Grund, mich derart finster anzustarren. Samson hatte nichts weiter getan als freudige Erregung gezeigt, sie zu sehen. Vielleicht konnte sie Hunde nicht ausstehen, überlegte ich. Vielleicht hatte sie mich in meinen
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