Das geheime Kind
Mund. Sie habe mit ihm geschlafen, um eine Empfehlung für ein Spitzenrestaurant zu bekommen. Sie seien mehrere Stunden zusammen gewesen, bis weit nach Mitternacht, hier in dieser Suite. Klaus habe sich spendabel gezeigt, Champagner, Kaviar, der Zimmerkellner könne das bezeugen. Ihr Chef sei ein guter Chef, attraktiv obendrein, und er verfüge über beste Kontakte in die Gastronomie. Wer bitte lasse sich so eine Gelegenheit entgehen?
Auf jede Frage wusste sie eine passende Antwort. Sie kannte sogar das Fernsehprogramm, das sie zwischendurch eingeschaltet hatte, als Bahling auf der Toilette gewesen war. Er sei eben nicht mehr der Jüngste.
»Schön, dass es noch wahre Liebe gibt«, sagte Heide und winkte die Frau weg. »Sie können gehen.«
Unter dem Bett hatte sie die Schuhe des Zimmermädchens entdeckt. Ballerinas. Es gab Leute, die kaum eine Wahl hatten. Und Leute, die immer ihr Ziel vor Augen sahen, egal, wie schäbig es war und was dabei auf der Strecke blieb.
»Ihre Meinung, Höttges?«
»Notfalls deckt ihn das ganze Hotel. Bahling hat seinen Harem im Griff. Aber um Wintrich zu beseitigen, hätte er jemanden angeheuert, so was macht der nicht selber, dafür ist der zu abgebrüht.«
»Manchmal machen sich sogar Schweine schmutzig«, widersprach Heide.
»An dem perlt alles ab, Lotus-Effekt. Und was Corinne betrifft: Schürzenjäger sind keine Vergewaltiger.«
»War vielleicht nicht immer so. Geschmäcker bilden sich erst nach und nach heraus. Frischfleisch, Sie hatten schon recht.«
»Er scheint relativ ahnungslos zu sein«, meinte Höttges. »Wollen Sie ihn noch weiter auf die Folter spannen?«
»Holen Sie ihn rein.«
Bahling, selbstgefällig bis unter den neu gebundenen Krawattenknoten, nahm gegenüber von Heide Platz. Er habe mit Caberidis, dem Oberstaatsanwalt, gesprochen. Ein Haftbefehl käme keinesfalls in Betracht. Die Frau Hauptkommissarin überschätze ihren Einfluss bei weitem.
Ob er nicht erfahren wolle, was mit Corinne los sei.
Natürlich, darüber mache er sich schon die ganze Zeit Gedanken. Aber er musste ja erst diese haltlosen Anschuldigungen –
Heide unterbrach ihn und legte die Fakten dar, so weit Raupach und Photini sie ihr mitgeteilt hatten. Sie sprach ganz nüchtern, Typen wie Bahling lockten sie nicht aus der Reserve.
Schwangerschaft, Hausgeburt, Kindstötung, Selbstmordversuch. Wiederholter Missbrauch als mögliche Erklärung. Das Verhältnis zu Milan Plavotic, ihrem Ex-Freund, und Otto Wintrich, ihrem Vertrauten, wie die Polizei inzwischen annahm.
Bahling verschlug es die Sprache, der kalte Schweiß trat ihm auf die Stirn. Die Enthüllungen der Kommissarin erfolgten in kurzen Abständen, trafen ihn wie Schläge, vor denen er keine Deckung fand. Ein Körpertreffer nach dem anderen brachte ihn ins Wanken. Die Miene des starken Mannes, angelernt, unerschütterlich, zerrann zu einem Wachsgesicht.
»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«, fuhr er Heide an.
Sie stand auf, bückte sich und holte unter dem Bett eine Ballerina hervor. »Der könnte auch Corinne gehören, oder?«
»Blödsinn!« Er nahm ihr den Schuh ab und betrachtete ihn, als hielte er ein widerliches Beweisstück in der Hand. »Sie glauben, ich hätte …«
»Wir klopfen alles ab«, sagte Heide. »Dazu sind wir verpflichtet.«
»Verstehe.« Er ließ den Schuh fallen.
»In vollem Umfang?«
Bahling nickte, millimeterweise, und starrte auf den Boden. Auf Parkettstreifen, die nach teurer Eiche aussehen sollten, aber aus Laminat bestanden. Der »Brabanter Hof« tat nur noch so, als sei er edel, und sein Restaurantchef war zu alt, um noch in einem richtigen Luxushotel unterzukommen. Das war die Realität. Sie ließ sich verdrängen, indem man sich ein kleines Reich von eigenen Gnaden schuf und voraussetzte, dass jeder die Spielregeln kannte. Da draußen, jenseits der langen, nach Reinigungsmittel riechenden Hotelflure, der ewig gleichen Frühstücksbuffets, Dienstpläne, Zimmernummern, da gab es schon längst keine Regeln mehr.
Vorhin, im Pausenraum der Köche, hatte er im Fernsehen die Nachrichten verfolgt. Reißerische Bilder, eine Jagd mit Polizeihunden, aus einem Hubschrauber aufgenommen, garniert mit einer Dokumentation über Kleingartenanlagen, im schaurigsten Licht, das mit Farbfiltern und Kontrastverstärkern herzustellen war. Was für ein schlecht inszenierter Krimi, hatte er gedacht. Irgendwie passend für Wintrich.
Kein Krimi. Corinne steckte da mittendrin.
Er liebte sie. Mehr als alles auf der
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