Das geheime Kind
vergewaltigt hat, früher. War das wirklich so schlimm? Kommt doch andauernd vor. Kein Grund sich was anzutun. Hält man da nicht einfach still und denkt an was anderes.«
Er schaute sie an, als erwarte er allen Ernstes eine Antwort. »Nun sag schon!«
Corinnes Lider waren halb geöffnet. Schlief sie noch? Er hob die Decke leicht an. Ein fleckiger Oberschenkel, schlecht durchblutet.
»Du siehst echt beschissen aus. Musst dich mehr bewegen. Öfter in die Sonne gehen.«
Er deckte sie wieder zu, sorgfältig, an allen Seiten. »Ich geb dir einen Rat. Wenn du wieder aufwachst, brauchst du eine gute Story. Nicht nur für die Bullen, sondern für die Medien. Ein paar Vergewaltigungen nach dem üblichen Muster reichen nicht, die Leute sind sparsam mit ihrem Mitleid. Kannst du nicht was von Folter erzählen? Missbrauch während der Schwangerschaft? Perverse Sexspielzeuge? Eine Behinderung? Lass dir was einfallen! Opfer brauchen jede Menge Phantasie.«
Corinne war nicht bei Bewusstsein. Genauso gut konnte er auf eine Gummipuppe einreden.
»Ich muss mal aufs Klo«, sagte Reintgen. »Geh nicht weg.«
Es sollte ein Witz sein.
FERTIG. REINTGEN öffnete die Toilettentür und wurde geblendet. Er riss den Arm hoch.
Blitzlicht. Ein Fotograf machte Aufnahmen von Corinne. Die Kamera summte wie ein Schwarm Killerbienen.
»Wen haben wir denn da?«
Der Mann fuhr herum.
Reintgen rieb seine Faust, als würde er ein Kätzchen streicheln. »Heute stehen die Lebensmüden ja Schlange.« Er ging um das Bett herum. Diesmal waren keine Handschuhe nötig. Gut.
Mit einem Satz war der Fotograf an der Tür und stürzte nach draußen auf den Gang.
Er sprintete los und fummelte dabei an der Kamera herum. Die Bilder der Kindsmörderin befanden sich auf dem Speicherchip, exklusiv, mindestens fünfzig Mille wert, vielleicht mehr. Er öffnete eine Klappe an der Seite und drückte auf den Schlitz. Der Chip sprang heraus.
Der Bulle war ihm dicht auf den Fersen, bekam beinahe seinen Jackenkragen zu fassen.
Er ließ die Kamera fallen und legte einen Zahn zu.
Reintgen hatte Mühe, ihm zu folgen. Er rief das Übliche. »Stehen bleiben! Polizei!«
Das Krankenhauspersonal machte den beiden Platz. Bekam einen Fluch zu hören, der selbst in Chirurgenohren derb klang.
Der Fotograf war ein trainierter Läufer. Er vergrößerte seinen Vorsprung, wischte um die Ecken, wendig wie ein junger Kater.
Reintgen schnappte sich im Laufen eine Urinflasche von einem Rollwagen. Das Ding war halb voll. Bestens, Gewicht stabilisierte.
Er holte aus und warf. Die Flasche wirbelte durch die Luft, versprengte Pisseschauer wie eine Sprinkleranlage.
Fand ihr Ziel.
Der Fotograf wurde am Hinterkopf getroffen. Er ging zu Boden, war kurz benommen, wollte sich wieder aufrichten – als Reintgen ihm schon das Knie zwischen die Schulterblätter rammte.
Der Mann stöhnte lautlos auf, die Luft entwich mit Hochdruck aus den Lungen.
Reintgen schlug ihn mit dem Knauf seiner Dienstpistole bewusstlos. Das würde hübsch weh tun, wenn er wieder zu sich kam. Schädelbasisschmerz, manchmal blieb der und wollte partout nicht mehr gehen.
Durchsuchung unter den Augen entsetzter Krankenschwestern. Reintgen hockte auf seiner Beute und genoss es.
Zuerst der Geldbeutel. ID-Card, Presseausweis. Der Mann hieß Patrick Voosen. Als Beruf war Modefotograf angegeben. Reintgen klemmte sich die Plastikkarten hinters Ohr und pulte den Speicherchip aus der schlaffen Hand.
Über Funk verständigte er seine Kollegen. Photini brauchte nicht mal eine Minute, gefolgt von Hilgers.
Reintgen merkte gleich, dass etwas nicht stimmte. »Kennen Sie den?«
AUF DEM WEG ZU MILAN sah Raupach den Polizeipräsidenten auf sich zukommen, mit steifem Schritt und gewichtiger Miene. Die setzte er eigentlich immer auf. Ehrgeiz wechselte selten das Gesicht, hinterließ Spuren. Wie die Pocken.
Lürrip fragte ihn, was er den Medien im Fall des Kindsmords mitzuteilen gedenke. Nach dem Tränengas im Nordpark und dem massiven Einsatz der Bereitschaftspolizei – der ohne Zweifel seine Berechtigung hatte – müsse man der Öffentlichkeit etwas anbieten. Auch Caberidis warte auf einen Zwischenbericht.
»Von mir kriegt niemand was«, sagte Raupach. »Laufende Ermittlung, Verdunkelungsgefahr. Caberidis kennt die Eckdaten, das muss reichen.«
»Eckdaten?«
»Ein paar Namen, die grobe Struktur. Weiter sind wir noch nicht.«
»Wie ich höre, gibt es eine Verdächtige. Die junge Mutter, die jetzt in der Klinik
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