Das geheime Kind
Haut davongekommen sind. Die anderen quälen sich ab. Bis sie zerbrechen.«
»Wenn Corinne wieder aufwacht, kann sie doch offen reden.«
»Hoffentlich.«
»Dann braucht sie mich jetzt.«
Raupach merkte, dass Milan mehr sagen wollte, es aber bleiben ließ, um nicht aufdringlich zu erscheinen. Zeit für eine weitere Maßnahme, die Lürrip nicht schmecken würde.
»Wir haben lange genug hier gesessen.« Er griff dem Jungen unter den Arm. »Komm mit.«
Sie nahmen einen Streifenwagen mit Mülder am Steuer. Milan saß in Handschellen auf dem Rücksitz. Auf dem kurzen Weg zum Krankenhaus stellte der Kommissar klar, dass er nur noch die Wahrheit hören wollte.
Außer Corinne und Wintrichs Leiche habe er niemanden am Tatort gesehen, sagte Milan. Auf ihren Anruf sei er sofort zur Heckenrose gefahren und habe sie nach Hause gebracht. Corinne sei mit den Nerven am Ende gewesen, apathisch, jetzt wisse er ja warum. Von der Sporttasche mit dem Kind habe er nichts gesehen.
Das Reden fiel ihm schwer. Der Schock senkte sich zeitversetzt und dafür tonnenschwer auf ihn herab. »Sie hat unser Kind nicht getötet«, stieß er noch hervor, »das glaube ich nicht, egal, wie schlecht es ihr gegangen ist.«
Draußen begann es zu regnen. Die Scheibenwischer verteilten den Schmutzfilm, der sich in den vergangenen Tagen auf dem Glas niedergeschlagen hatte, gleichmäßig an die Ränder.
Raupach ließ es gut sein. Der beleuchtete Eingang der Klinik kam in Sicht. Er sah es mit gemischten Gefühlen.
Seit dem Tod seines Freundes Felix mied er Krankenhäuser. Es war nicht so, dass er keine Leichen mehr sehen konnte, das machte ihm nichts aus. Er hatte nur vom Sterben die Schnauze voll.
PATRICK MUSSTE GENÄHT WERDEN. Eine Ärztin von der Notaufnahme entfernte ein paar Glassplitter aus der Platzwunde, desinfizierte sie und setzte den ersten Stich.
»Autsch!«
Photini stand daneben. »Ist der Faden dick genug? Das muss gut halten, sonst kommt der Rest von dem bisschen Grips auch noch raus.«
Die Ärztin hatte von dem Vorfall auf der Intensiv gehört. Sie benutzte eine Nadel, die wie ein Enterhaken aussah. »Stillhalten!«, wies sie den Patienten zurecht und begann, die Kopfhaut zusammenzuflicken. Zwischendurch tupfte sie das Blut ab.
Die Kamera funktionierte noch. Photini legte den Speicherchip ein und sah sich die Bilder an. Sie wirkten wie Fahndungsfotos, obwohl Corinnes Augen geschlossen waren. Das Blitzlicht kam von unten. Dadurch erhielt das Mädchen diabolische, leicht brutale Züge. Im Computer ließ sich das noch verstärken.
»Keine Skrupel?«
»Ich hab nur meinen Job gemacht«, wehrte er sich.
»Als Modefotograf, wie?«
»So hab ich angefangen. Promischnappschüsse sind eben einträglicher, oder irgendwelche Skandalbilder. Mit uns beiden hat das nichts zu tun, Fofó.«
»Nenn mich nie wieder so, kapiert?«
»Passen Sie doch auf!« Patrick verzog das Gesicht und warf der Ärztin einen wütenden Blick zu.
»Wenn die Fotos veröffentlicht werden, kann sich das Mädchen nirgends mehr blicken lassen«, sagte Photini.
»Das hätte sie sich vorher überlegen sollen.«
»Ein Glück, dass wir dich erwischt haben.«
»Das war Körperverletzung, was dieser Bulle da abgezogen hat. Den verklag ich, dass ihm Hören und Sehen vergeht.«
»Reine Schutzmaßnahme.« Photini nahm den Chip aus der Kamera und steckte ihn ein. »Ich will eigentlich nur eins wissen: Wie hast du von ihr erfahren?«
»Berufsgeheimnis.«
Ihre Augen begegneten sich. Patrick schaute wie immer, amüsiert und mit einer Gelassenheit, als verfüge er über Informationsquellen, die niemand sonst besaß.
»Spuck’s aus. Dann kann ich wenigstens wieder ruhig schlafen.«
Er lächelte, hielt es für eine Anspielung auf ihr Sexleben. »Deine Funkfrequenz. Ist leicht abzuhören, wenn man sie mal kennt.«
Sie drehte sich weg. »Du bist das Letzte.«
Die Ärztin schnitt den Faden ab und klebte ein Pflaster auf die Wundnaht. »Fertig.« Einen Eisbeutel für die Beule am Hinterkopf musste er sich selber besorgen.
Photini brachte ihren Ex-Freund zum Ausgang. Sie vergewisserte sich, dass kein Bild mehr auf der Kamera war, und gab sie ihm zurück.
»Warum trägst du eigentlich eine Augenklappe?«, wunderte er sich.
»Ich will dich nicht mehr sehen.«
»Ach komm schon, wir haben beide unsere Tricks, um beruflich zu überleben. Lass uns das trennen von all den Dingen, die uns verbinden.«
»Du stinkst nach Pisse. Hau ab, bevor hier noch ein Unfall
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