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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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besser als erwartet. Kaum hatte er angesetzt, war die Flasche schon leer.
    Er öffnete eine weitere. Versuchte die Graffiti am Stiel des Pilzes zu entziffern.
    Geograph wäre er gern geworden. Oder Archäologe. So ein Hut mit speckiger Krempe und Dreitagebart, das macht bestimmt Eindruck. Nebenbei die Rätsel untergegangener Welten lösen. Kürzlich hatte er sich einen neuen Schulatlas gekauft, in dem würde er jetzt gern schmökern. Unglaublich, was sich in zehn Jahren alles verändert, all die neuen Staaten. Und was gleich bleibt. Australien. Dort gab es mehrere große Wüsten, jede Menge unerforschtes Land, immer noch. Genug Platz für Verschüttetes, Verlassenes, Zugewehtes.
    Bei seinem miesen Gehalt würde er nie da hinkommen. Es reichte höchstens für Kängurufleisch aus dem Tiefkühlregal.
    Er bekam Gesellschaft. Endlich.
    Ein Rentner mit Prinz-Heinrich-Mütze und Spazierstock. Der Mann trank ein Bier und kam ins Erzählen. Dabei brachte er seine Biographie dauernd durcheinander, Autos, Frauen, Arbeitsplätze, Kinder. Die Kleingärten konnte er nicht leiden, weil er trotz mehrmaliger Anträge keine Parzelle erhalten hatte. Er ging immer um acht Uhr abends ins Bett, kam als Zeuge also kaum in Frage und wusste auch nichts über die Vorfälle der vergangenen Nacht. Als er wieder von vorn anfing, diesmal bei seinem ersten VW Käfer, wies Höttges ihn darauf hin. Er stand beleidigt auf und setzte seine Runde durch den Park fort.
    Die frische Luft und das Bier machten Höttges hungrig. Eine Gruppe Schüler tauchte auf, vermutlich schwänzten die Bengel. Sie ließen sich auf der Wiese nieder und aßen Pommes.
    Wie dumm, an Proviant hatte er nicht gedacht. Jetzt musste er die Stellung halten und konnte nicht weg. Spezialauftrag? Mehr so ein Scheißauftrag.
    »Ich bin der Tünn!«
    Der Mann streckte neben ihm die Beine aus und bediente sich ungeniert von dem Biervorrat. Er roch nach einer Brauerei, in der lange nicht mehr aufgewischt worden war.
    »Gerd.«
    »Tütentünn, zur besseren Unterscheidung.« Er prostete Höttges zu. »Kleine Privatfeier?«
    »Kann man so sagen.«
    »Gar nicht gut, allein hier zu sitzen.«
    »Wenn’s mir langweilig wird, denke ich an die Wüsten in Australien. Ich stell mir vor, dass da genau so ein Pilz steht wie der hier, an einer Eisenbahnhaltestelle mitten im Nichts. Da kommen sicher weniger Leute vorbei als im Nordpark. Da ist man froh über jede Menschenseele, die einem begegnet.«
    »Tolles Land, Australien.« Tünn trank. »Mal dort gewesen?«
    »Zu weit weg. Zu teuer.«
    »Tolle Riffe, Korallen und so. Tolles Tauchrevier.«
    »Du tauchst?«
    Tünn lachte kehlig. »Ach was, ich hab nicht mal einen Reisepass. Hab nie einen gebraucht.«
    »Willst du nichts sehen von der Welt?«, fragte Höttges. »Fremde Völker? Naturwunder?«
    »Was ich kennen muss, kenn ich. Gibt nichts, worüber ich mich noch wundern könnte.«
    Der Kommissarsanwärter schätzte den Mann auf Ende dreißig. Notorischer Trinker, der dicken, rot-violett geäderten Nase nach zu urteilen. Treckingschuhe vom Discounter, Trainingsanzug, unter der Jacke ein dickes kariertes Hemd, lange, nach hinten gekämmte Haare, Ohrring. Verquollene Augen, die jedoch alles an seinem Gegenüber genau registrierten.
    »Wohnst du hier in der Gegend?«, fragte Höttges. Sich herantasten. Nur nicht mit der Tür ins Haus fallen.
    »So ungefähr.« Eine unbestimmte Rundumgeste. »Hab dich hier noch nie gesehen.«
    »Vorgezogenes Wochenende. Ich werd heut nicht gebraucht in der Arbeit.«
    »Klingt nach trüben Aussichten.«
    »Es schwankt«, sagte Höttges. »Mach ich eben einen Ausflug, hab ich mir gedacht. Besser, als zu Hause rumzuhängen.«
    »Wo bist du denn her?«, wollte Tünn wissen.
    »Kalk.«
    »Das war ja ’ne Weltreise.«
    »Köln hat viele Ecken, die ich noch nicht kenne.«
    »Nach Australien fährt die KVB aber nicht.«
    Der Witz war ein guter Anlass, noch ein Bier in Angriff zu nehmen. Tünn fragte diesmal, ob er eins haben dürfe. Der erste Sixpack war aufgebraucht.
    »Australien.« Tünn blickte in die Ferne. »Für unsereinen könnte das auf dem Mond liegen, würde keinen Unterschied machen.«
    »Eine Bekannte von mir hatte eine Freundin, die mal da unten war.« Höttges dachte an ein Gespräch mit Photini.
    »Ich kenn auch jemanden, der jemanden kennt, der eine Cousine in Sydney hat. Bringt mich nur nicht weiter.«
    »Stimmt.«
    »Es gibt Leute, die fliegen wöchentlich nach Australien. Einmal um die halbe Welt, wegen

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