Das geheime Kind
Heide.
»Wer? Ich?«
Photini zwang sich, nicht zu nicken. Den Trick hatte sie ihrer Kollegin abgeschaut. Den Bestätigungsimpuls unterdrücken, wenn es ernst wurde. Um ein Gespräch einzuleiten, waren Nicken und Lächeln gut. Doch bei Fragen, die aus einem Zeugen einen Verdächtigen machten, musste man Entschlossenheit zeigen, eine gewisse Kälte.
Heide war so reglos wie ein Leguan.
»Sie denken, ich wär’s gewesen?«, wiederholte Milan und forschte nach einer Reaktion. »Weil ich alle paar Wochen am Nordpark bin, ’ne lose Latte festnagle oder die Blätter von der Terrasse kehre? Reicht das schon aus?«
Heide machte eine Notiz.
Er warf die Arme in die Luft. »Ist ja nicht zu glauben! Sie haben mich auf dem Kieker!«
»Wir ermitteln, das ist alles.« Heide blickte starr auf ihre Papiere.
»Na dann, viel Vergnügen!« Milan sprang auf, zog die Jacke aus und warf sie über die Stuhllehne. Er krempelte die Ärmel des Pullis hoch und zeigte seine Unterarme. »Sehen Sie hier irgendwelche Einstiche?«
Die beiden Polizistinnen rührten sich nicht.
»Na los, schauen Sie genau hin, ich hab nichts zu verbergen!«
»Rauchen Sie mal was?«, fragte Heide.
»Nicht mal Zigaretten.« Er setzte sich wieder. »Und wenn ich es täte – zieh ich deshalb durch die Gegend und bring Leute um?«
»Warum regen Sie sich so auf?«
»Weil Sie nach dem erstbesten Brocken schnappen, den ich Ihnen geliefert habe. Junkies!« Milan machte eine abfällige Geste. »Die fliegen bei mir aus dem Taxi, wenn ich nur im Geringsten den Eindruck habe, dass irgendwas nicht stimmt.«
»Gut«, sagte Heide. »Dann ist der Drogentest bei Ihnen bestimmt negativ.«
Er starrte sie eine Weile an. Schließlich schüttelte er den Kopf und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. »Sorry, muss wohl der Schlafmangel sein. Da kriegt man eine ziemlich dünne Haut.« Er rieb sich die Augen. »Sie machen auch nur Ihre Arbeit.«
»Eigentlich geht es nur um Haschisch«, lenkte Heide ein. »Ist Ihnen jemand bekannt, der es konsumiert und sich auf der Parzelle herumgetrieben haben könnte?«
»So gut kenn ich mich in der Anlage nicht aus.«
»Sie müssen sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehen.«
»Was bedeutet das?«
»Wir machen Fotos, nehmen Fingerabdrücke.«
»Wie bei einem Verbrecher?«, wollte Milan wissen und wurde dabei wieder lauter.
»Sie sind hier bei der Polizei.« Heide hielt wenig von solch naiven Fragen. »Wie sollte das wohl sonst laufen?«
»Schon gut.«
»Und dann kommt der Drogentest.«
»Ist der nicht freiwillig?«
»Die richterliche Genehmigung kostet mich einen Anruf.«
»Sie können mich mal!«, schrie Milan.
»Das höre ich immer wieder«, sagte Heide. »Ich nehme es als Kompliment.«
DAS MESSER glitt durch das Lindenholz wie durch eine Mohrrübe. Er schliff die Klinge regelmäßig, dabei flogen die Funken. Werkzeug musste man gut in Schuss halten. Wie Otto es ihm beigebracht hatte. Sonst konnte man es nicht richtig verwenden.
In Reih und Glied hing es an den Wänden des Schuppens. Keine Spur von Rost. Beitel, Stichel, Meißel. Beil und Hobel. Daneben Schraubendreher und Schraubenschlüssel. Darunter Hammer, Zangen, Zwingen. An der Seite die Gartengeräte: Schaufeln, Pickel, Spaten, Harken. Aber am liebsten benutzte er das Messer. Weil es seins war. Ein Geschenk.
Von Otto stammte auch die Idee mit den Holzfiguren. Er hatte sie aus dem Fernsehen, als da mal eine Kindergeschichte lief über einen Jungen. Der wurde in den Schuppen gesperrt, wenn er ungezogen war, und dann schnitzte er Holzfiguren, das vertrieb ihm die Zeit.
Nicolas war mindestens genauso ungezogen. Er wunderte sich immer, was man alles falsch machen konnte. Milch auf der Herdplatte überkochen lassen. Eine DVD falsch einlegen, dann klemmte das Gerät. Aber in den Schuppen ging er freiwillig, weil es ihm dort sehr gut gefiel, vor allem direkt nach der Schule, so wie jetzt. Und mit dem Schreien hörte er auch auf, wenn er das Holz bearbeitete. Er wurde dann ganz ruhig und sah den Spänen dabei zu, wie sie sich einrollten und herunterfielen und nach und nach eine Form entstand, eine Figur. Unter seinen eigenen Händen wuchs sie, ganz von allein. Nie wusste er, was am Ende dabei herauskam.
Es machte ihm nichts aus, wenn er sich mit dem Messer verletzte. Das passierte oft, weil er so viel Kraft hatte und das Messer so scharf war. Deshalb musste es auch in dem Schuppen bleiben. Er durfte das Messer nicht mit nach draußen nehmen, das
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