Das geheime Kind
auszukommen, obwohl ihre Auffassungen von Beruf und Leben ziemlich weit auseinandergegangen seien. Es täte ihm vor allem leid um Nico, Otto habe dem Jungen viel bedeutet. Schließlich begleitete er die Ermittler zur Haustür.
»Noch etwas«, sagte Raupach. »Es geht um einen weißen Stoffbären, ein Stofftier. Wahrscheinlich ist das unwichtig, aber fällt Ihnen dazu etwas ein?«
»Meinen Sie einen Eisbären?«, fragte Vera Bahling und hielt die Sprechmuschel zu. Ihr Ex-Mann war gerade am Apparat.
»Ja.«
»Corinne hatte früher mal so einen. Sie war ganz in ihn vernarrt.«
»So?«
»Ihr Knuddeltier. Ich hab es seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Was ist damit?«
»Wintrich hat es in einem Laden verkauft«, sagte Photini. »Um sich das Schachspiel für Nicolas leisten zu können.« Dass er geglaubt hatte, der Eisbär brächte Unglück, erwähnte sie nicht.
Vera Bahling hielt verblüfft inne. Dann lächelte sie. »So konnte Otto eben auch sein«, sagte sie gerührt. »Er dachte immer an die anderen.«
RAUPACH LACHTE AUS VOLLEM HALS. Nicolas hatte Photini vor seinem Tobsuchtsanfall also ein eindeutiges Angebot gemacht. Das war der seltsamste Annäherungsversuch, von dem der Kommissar je gehört hatte.
»Das bleibt unter uns«, warnte ihn Photini. »Erzähl bloß Heide nichts davon.«
Sie saß am Steuer und brachte Raupach zur »Zweiten Hand« zurück, wo er seinen Wagen abgestellt hatte. Wie immer glichen sie ihre Vernehmungsergebnisse ab. Raupach hatte von Vera Bahling und Wintrich erzählt. Dass sie schon vor zehn Jahren kurz zusammen gewesen waren, ein Testlauf gewissermaßen. Wie schwierig die Beziehung dann durch Ottos Trinkerei geworden sei.
Im Anschluss daran hatte ihn Photinis Bericht erheitert. »Du machst eben Eindruck auf die Männerwelt. Dafür brauchst du dich nicht zu schämen.«
»Ist das wirklich so witzig? Jungs wie Nicolas haben manchmal einen ausgeprägten Geschlechtstrieb, vor allem, wenn sie geistig im Rückstand sind.« Sie tippte an ihre Schläfe. »Der denkt sich nichts dabei, wahrscheinlich baggert er auch seine Lehrerin an.«
»Ich würde mich nie trauen, dir so etwas zu sagen.«
»Wir haben alle unsere Defizite.«
Hätte sich Raupach mal lieber getraut, vor einem halben Jahr, dachte Photini. Da wäre sie nicht abgeneigt gewesen. In einem Moment, als sie beide gespürt hatten, wie viel sie einander bedeuteten. Ihr verdammter Beruf und tausend Hemmungen waren ihnen damals im Weg gewesen, und der Zufall hatte in Gestalt von Höttges auch noch dazwischengefunkt. Die Gelegenheit war ungenutzt verstrichen, eine offenstehende Tür, die vom Luftzug zugeworfen wurde. Kurz darauf hatte Raupach etwas mit einer attraktiven Zeugin angefangen – Ende und aus.
Bestimmt war es besser so. Photini fiel es nicht im Traum ein, daran etwas zu ändern, auf keinen Fall … Hin und wieder rutschte Raupach eine Anzüglichkeit heraus, wie er sie mit Heide seit Jahren austauschte, halb im Ernst, schön unverbindlich, um den Modus Vivendi nicht zu gefährden, in dem man sich unter Kollegen eben so einrichtete. Auch eine Möglichkeit, sich zu verständigen.
Ob er jetzt an das Gleiche dachte? Dann müsste er mal ein Wort sagen.
Tat er aber nicht. Raupach war vermutlich mit dem Fall beschäftigt, ging die Vernehmung der Bahlings im Geiste durch, so angestrengt musterte er das Handschuhfach.
Mittlerweile hatte sie ihr Privatleben selbst in die Hand genommen, mit Hilfe des Computers. Die Unwägbarkeiten auf ein Minimum beschränkt. Am nächsten Tag wollte sie das Ergebnis ihrer Testreihe präsentieren, bei der Geburtstagsfeier von Effie Bongartz im Delphi. Die Stunde der Wahrheit.
Das Lokal gehörte Photinis Familie. Sie hatte vor, Patrick mitzubringen und ihn den anderen vorzustellen. Ihr graute schon vor den prüfenden Blicken und den versteckten Sticheleien. Wenn Polizisten einen neuen Partnerschaftskandidaten unter die Lupe nahmen, war das schlimmer als die Inquisition.
Vom Aussehen her brauchte Patrick sich nicht zu verstecken mit seiner rotblonden Mähne, den Surfer-Muskeln unter engen, taillierten Hemden und 1,96 Meter Körpergröße. Wie habt ihr euch kennengelernt? Irgendwann würde diese Frage kommen. Sollte sie lügen?
»Was meinst du?«, fragte Raupach. »Was hältst du von den Leuten?«
»Von wem?« Photini schreckte aus ihren Gedanken auf.
»Den Bahlings.«
»Ach so.« Mit einer fahrigen Handbewegung deutete sie an, dass sie abgelenkt gewesen war.
»Wie hat es Wintrich dort
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