Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
Vom Netzwerk:
Eckkneipen, die so gründlich verrammelt wirkten, als drohte Hochwasser. Ein paar Schummerlichter verrieten, dass da noch menschliches Leben war. Keine Spur von Grandezza, kein Savoirvivre-Charme, kein sichtbares stadtplanerisches Konzept. Raupach mochte es so, und er mochte die Nacht.
    Schon als Kind war er bei Dämmerung nur schwer ins Haus zu kriegen gewesen, in Oberfranken, wo die Welt an der Wäscheleine oder spätestens am nächsten Hügel aufhört. Wann immer es sich ergeben hatte, war er mit einer Taschenlampe losgezogen und hatte die Grundstücke am Stadtrand und den nahegelegenen Wald ausgekundschaftet. Dunkelheit war für ihn nichts gewesen, wovor man sich fürchten musste. In der Nacht kam die Welt zu sich, sie war still, unergründlich und dennoch voller Leben, wo auch immer es sich abspielte, vor oder hinter erleuchteten Fenstern.
    Zugleich hatte er bemerkt, dass es immer Stellen gab, die um einiges schwärzer waren als die Dunkelheit. Und dass es ihm leicht fiel, sie auszumachen. Baumkronen vor einem Sternenlosen Himmel. Löcher im torfigen Boden. Ein totes Stück Vieh neben einem schlafenden.
    Die Nacht war wie ein Gemälde mit unterschiedlich grundierten schwarzen Flächen, hatte er als Teenager gedacht.
    Der Tag war genauso. Das stellte er später fest, nachdem er Polizist geworden war. Selbst bei schönstem Sonnenschein stieß man auf dunkle, dunklere und dunkelste Stellen und musste sie auseinanderhalten. Eine Frauenleiche in der Tiefgarage, Opfer eines Messerangriffs. Unter einem Auto versteckt ihr schockstarres Kind. Mit Blut an den Händen, das keinem von beiden gehörte.
    Inseln der Finsternis, Schatten rund um die Uhr.
    Deswegen kam ihm der Tag wie ein Betrüger vor. In der Nacht fühlte er sich besser aufgehoben.
    Sehnsucht nach dem mütterlichen Uterus, würde Jakub sagen. Wer hatte die nicht?
     
    AUCH PLAVOTICS WOHNUNG hatte etwas von einem inneren Organ, das noch in Funktion war. Souterrain, mit drei verschiedenen Türschlössern gesichert. Die einzigen Ablageflächen waren die Spüle und ein viereckiger Couchtisch. Zu wenig Platz für all die Pizzakartons mit Speiseresten, Schachteln diverser Schnellimbisse, H-Milchtüten, Kaffeetassen, Zeitungen, DVDs und Haufen gebrauchter Wäsche, die den Boden besiedelten wie Tumore.
    »Ein Drecksloch, aber sauber«, meinte Uphoff vom Drogendezernat. »Wir haben keinen Stoff gefunden, nicht einen Krümel. Der Junge ist entweder der kleine Fisch, für den wir ihn halten. Oder er hat irgendwo ein Depot, vielleicht ein Schließfach. Dann wäre er ganz schön clever.«
    Raupach trat über die Schwelle und bedankte sich, dass der Kollege sich zu dieser späten beziehungsweise frühen Stunde Zeit genommen habe.
    »Keine Ursache, bin gerade erst zum Dienst angetreten. Bei uns gehen die Uhren anders, Eure Heiligkeit.«
    In Wahrheit war Uphoff schon seit zwölf Stunden auf den Beinen, seinen Schlaf holte er sich am Vormittag. Aber das brauchte er diesem Mister-Überall-Bullen, der anscheinend zu geizig für einen neuen Anzug war, nicht auf den Bauch binden.
    Uphoff trug Mishumo, schwarz, neuester Schnitt, sonst würde er gar nicht in die Clubs reinkommen, in denen er sich hin und wieder sehen ließ, damit der Drogenumsatz nicht das übliche Maß sprengte. Raupach hatte ihm gerade noch gefehlt, er konnte Understatement-Typen nicht leiden. In seinem Ressort zeigte man, was man hatte, und Dealerwohnungen waren definitiv sein Ressort, Mord hin oder her.
    »Meiner Meinung nach ist das hier Zeitverschwendung«, fuhr Uphoff fort. »Sie haben den Falschen. Aber Plavotic ist ein dankbares Opfer, eine Strohpuppe, die Sie öffentlich verbrennen können. Was suchen Sie hier? Ein 10-Kilo-Paket Shit mit einem Spaten daneben, damit es selbst der dümmste Richter kapiert?«
    »Es ist manchmal richtig, Kompetenzen zu überschreiten«, erwiderte Raupach. »Das predige ich meinen Mitarbeitern immer wieder, Eigenverantwortlichkeit. Nur so kommen wir auf lange Sicht weiter.«
    Uphoff trat näher an ihn heran. »Wie ich höre, haben Sie Joe Kenter die Fresse poliert. Der verträgt das, aber dafür bin ich zuständig.«
    »Ich würde es begrüßen, wenn Sie mich eine Weile allein ließen. Nur für ein paar Minuten, dann dürfen sie sich wieder als Herr im Haus fühlen.«
    »Aus Milan hätte mal ein guter Informant werden können. Das haben Sie versaut. Und wenn er in Ossendorf einfährt, haben Sie den Jungen auch noch als Menschen in die Tonne getreten. Der will doch nur ein

Weitere Kostenlose Bücher