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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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normales Leben führen und seiner Freundin was bieten.«
    Raupach lachte müde über Uphoffs Wortwahl, die Formulierungen mit der Strohpuppe und der Tonne. Je komplezierter sich Polizisten ausdrückten, desto simpler waren sie manchmal gestrickt. Er nahm sich da nicht aus.
    Uphoff ging nach draußen und deutete zuvor noch auf ein Foto, das an der Wand pinnte. Es zeigte Plavotic mit einem Mädchen in einem Pippi-Langstrumpf-Kostüm, offenbar war es im Karneval aufgenommen worden. Die beiden sahen aus, als hätte der Kamerablitz sie überrascht. Dadurch wirkte der Schnappschuss lebhaft und natürlich.
    Raupach stöberte eine Weile in dem Chaos des jungen Mannes, fand aber nichts, was ihm unmittelbar half, keine weiteren Beweismittel, keine dezidiert persönlichen Gegenstände. Mit 23 trug man seine Individualität wohl noch dicht am Körper.
    Blieb der überall verstreute Single-Müll. Jedes Chaos hatte einen Ursprung.
    Manchmal, wenn Raupach konzentriert an einem Fall arbeitete und nicht zum Aufräumen kam, sah es bei ihm zu Hause ähnlich aus. Auch Plavotic schien sich selten in seiner Wohnung aufzuhalten. Aber er war kein Schlamper wie Raupach, der von einer Sekunde auf die andere vergaß, was er gerade in der Hand gehabt hatte, eine Mordakte oder die Gebrauchsanweisung der Waschmaschine.
    Plavotic gehörte zu den Liegenlassern. Er aß etwas, legte eine DVD ein – und brach plötzlich auf, um Taxi zu fahren oder sonstwie Geld zu verdienen. Dauernd auf Achse, das schien die Antriebswelle dieses Chaos zu sein.
    Als sich der Krieg durch Ex-Jugoslawien gefressen hatte, war Milan ein Kind gewesen, überlegte Raupach. Verlust der Eltern, auf der Flucht mit wenig Gepäck. Onkel und Tante nahmen ihn mit nach Deutschland, bauten ihre Firma auf. Keine Zeit für den Neffen, der so bald wie möglich eigene Wege ging, dabei vielleicht in die falschen Kreise geriet und bereits vertraut war mit Gewalt und der Notwendigkeit, Werkzeug als Waffe zu benutzen.
    So könnte es gewesen sein. So wurde man ein Liegenlasser. Immer auf dem Sprung.
    Wohin trieb es Milan? An welchen Punkt und darüber hinaus?
     
    UPHOFF BESTÄTIGTE Plavotics Biographie. Sie stimmte weitgehend, in Deutschland lebten viele Kinder des Krieges. Er nahm den Jungen weiter in Schutz, versuchte, einen verbindlicheren Tonfall anzuschlagen. Doch als er an Photinis Vorgehensweise bei der Festnahme herummeckerte, über die er inzwischen im Bilde war, ließ Raupach ihn stehen und nahm die letzte Bahn der Linie 13 um 0.52 Uhr.
    Die U-Bahn konnte einem um diese Zeit das Fürchten lehren. Erst vor kurzem wäre eine Straßensängerin von zwei halbstarken Deutschen beinahe zusammengetreten worden. Ein Gewichtheber, der vom Training auf dem Weg nach Hause gewesen war, hatte gerade noch eingreifen können. Er sah aus wie Höttges, die Halbstarken hatten ihn unterschätzt. In den Zeitungen wurde er als Held gefeiert. Der Ruf nach einer Bürgerwehr nach Pariser Vorbild wurde in Köln immer lauter.
    Raupach beobachtete die anderen Fahrgäste in seinem Wagen. Keine Gruppe junger Männer mit Bierflaschen in der Hand, nur ein paar Einzelgänger, von denen schwer zu sagen war, ob sie Streit suchten oder einfach nur in Ruhe gelassen werden wollten. Es wurde immer schwieriger, die Gefahrenherde rechtzeitig zu erkennen, Aussehen, Kleidung, Benehmen waren kaum mehr zu deuten. Ein Mann mit Totenkopf-T-Shirt und großflächigen Tattoos konnte sich als Versicherungskaufmann entpuppen, der auf dem Weg zum Yogakurs war.
    Die Begegnung mit den Jugendlichen vor Corinne Bahlings Wohnung war glimpflich abgegangen, da hatte Raupachs Erfahrung ihm geholfen. Doch wenn er vorhatte, öfter die Stadt zu durchstreifen, sollte er sich von Jakub besser zum Konfliktschlichter schulen lassen oder gleich seine Nahkampfausbildung auffrischen.
    An der Haltestelle Amsterdamer Straße/Gürtel stieg er aus und ging die paar Meter zum Nordpark. Gelangte zu den Kleingärten und Parzelle Nummer 88.
    Den Tatort bei Nacht erleben, ungefähr zur Tatzeit, deshalb war er hier. Aufsaugen, welche äußeren Umstände das Verbrechen ermöglicht oder sogar befördert haben mochten. Bei seinem Funkgerät stellte er den Empfang ab, außer ihm war niemand mehr vom Team unterwegs. Das Handy schaltete er auf Vibrationsalarm.
    Der Weg war nur schwach erleuchtet. Keine Lebenszeichen auf den anderen Grundstücken. Die umliegenden Mietshäuser besaßen kaum Balkone. Helle Fenster, aber niemand, der zum Luftschnappen oder Rauchen

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