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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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mit offener Hose am PC saß.
    Nicolas löschte seine Eingabe und schrieb stattdessen: »Hast du geweint?«
    Ungläubig glotzte sie auf den Bildschirm. Wurde misstrauisch. Wollte Gast 159 nur ein bisschen plaudern oder das Ganze unnötig in die Länge ziehen? Das wäre Zeitverschwendung.
    Dann schien sie zu begreifen. Wieder dieses einstudierte Grinsen. Viel zu reif, als wüsste sie über alles Bescheid, was Männer erregt. Wie durch Zufall löste sich ein Träger des Hemdchens und fiel an ihrer Schulter herab.
    Eine neue Textzeile: »Ich war ungezogen.«
    »Hat dir jemand weh getan?«, fragte Nicolas prompt.
    Lara senkte den Blick und griff sich an den Kopf. Es war, als wollte sie etwas abschütteln, das ihr Kummer bereitete. Im Gegensatz zu dem Grinsen wirkte es echt.
    Dann, wie nach einem spontanen Entschluss: »Kommt dauernd vor.«
    Mochte sie es etwa, wenn man ihr weh tat, fragte sich Nicolas. Oder ging sie nur auf sein Geschreibsel ein?
    »Schlag zurück«, erwiderte er.
    Diesmal kam die Antwort sofort. »Geht nicht.«
    »Warum?«
    »Will niemanden verletzen.« Laras Wangen wurden schmal, ihr Gesicht sackte nach unten. »Ist eh schon alles kaputt.«
    In Nicolas kroch ein seltsames Gefühl hoch. Lara kam ihm auf eine Weise vertraut vor, die er nicht einordnen konnte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht.
    Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und bog die Ellbogen nach vorn, als wollte sie sich vor dem Kameraauge verstecken. Dann nahm sie die Arme wieder herunter. Der andere Hemdchenträger rutschte nach unten und ein Teil der Brust wurde sichtbar.
    Da war ein Leberfleck, ungefähr so groß wie der Nagel seines kleinen Fingers. Dicht neben der Brustwarze.
    Nicolas erstarrte.
    War das möglich?
    Als sie noch Kinder gewesen waren, hatten sie sich nichts daraus gemacht, ihre Körper zu vergleichen, im Schwimmbad, nach dem Duschen im Badezimmer, morgens beim Anziehen. Trotzdem hatte sie sich immer geschämt, dass sich der Fleck gerade an dieser Stelle befand.
    Corinne.
    Er musste blind gewesen sein. Wie hatte er seine eigene Schwester nicht erkennen können? Die schwarzen Haare und die Schminke hatten ihn getäuscht. Und seine Lust, nacktes Fleisch zu sehen.
    Der Schweiß brach ihm aus. Verstohlen blickte er sich in dem Internet-Café um. Die anderen Gäste beachteten ihn nicht. Wussten nicht, was für ein Schwein unter ihnen saß.
    Aber war »Lara« wirklich Corinne? Vielleicht bildete er sich das nur ein? Immerhin war es ein unglaublicher Zufall, ausgerechnet auf sie gestoßen zu sein, ohne böse Absicht. Bestimmt gab es viele junge Frauen in Köln, die sich für einen Live-Video-Chat hergaben.
    Hatte er es irgendwie geahnt, etwas in ihm? Hatte er sich deswegen beim Anblick des Mini-Bildchens zu ihr durchgeklickt?
    »Sind deine Haare gefärbt?«, schrieb er. »Oder trägst du eine Perücke?«
    Sie drehte die Augen zur Decke. »Wie hättest du’s denn gern?«
    Jetzt wirkte sie enttäuscht. Vermutlich dachte sie, dass er doch so war wie alle anderen. Dass es ihm gleichgültig war, wie es in ihr aussah, und ihm Äußerlichkeiten wie die Haarfarbe wichtiger waren.
    Nicolas zögerte. Er schämte sich in Grund und Boden. Konnte er Corinne schreiben, dass er sie quasi enttarnt hatte? Das würde ihr verraten, dass er im Internet nach Mädchen suchte, die sich für ihn auszogen.
    »Klasse Titten. Wann geht’s weiter?« Der neue Eintrag stammte von Gast 060, einem weiteren Besucher von www.koelsche-girls.de .
    Corinne runzelte die Stirn. Eine Hautfalte mit einem scharfen Zacken. Mit jeder kleinen Bewegung, jeder Geste war sich Nicolas eine Spur sicherer, seine große Schwester vor sich zu haben.
    Gast 060 wurde ungeduldig. »Zeig, was du hast.«
    Endlich bemerkte sie ihr verrutschtes Hemdchen. Sie zog die Träger wieder hoch.
    »Weg mit dem Teil!«, schrieb Gast 060. »Ich komm richtig in Fahrt.«
    So schien das üblicherweise abzulaufen, dachte Nicolas. Plumpes Anfeuern wie bei einem Striptease.
    »Warum machst du das?«, tippte er ein.
    Corinne las seine Mitteilung. Ihr Blick wurde glasig, dann drückte sie eine Taste und drehte sich weg.
    In dem Live-Cam-Fenster erschien ein Dialogfenster. »Wenn du mehr von Lara sehen willst, musst du dich per Kreditkarte anmelden.«
    Ein Formular folgte, in dem man seine persönlichen Daten eintragen konnte. Ende der Vorstellung.
     
    »BIST DU GEGEN DEN KÜHLSCHRANK gelaufen?«, fragte Raupach, als er Photinis zugeschwollenes Auge sah.
    Sie brauchte eine Sekunde, um

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