Das geheime Kind
den dummen Scherz zu begreifen, eine Sekunde, in die Reintgen ein völlig überflüssiges Prusten hineinquetschte.
»Sollen wir Ihnen auch eine verpassen, Reintgen? Kleiner Muntermacher unter Kollegen«, schlug Raupach vor.
»Was kann ich denn dafür, wenn sie ohne Funkgerät loszieht?«
»Sie haben Photini da ganz bewusst reinrasseln lassen.«
»Halt die Klappe, Klemens. Das war allein meine Schuld.« Die junge Kommissarin presste das Coldpack wieder auf ihr Auge und öffnete die Datei über Plavotic, die das Drogendezernat vor wenigen Minuten per Intranet geschickt hatte.
»Das wird ein hübsches Veilchen. Morgen siehst du damit wie dieser Hund aus, der vor dem Grammophon sitzt und in den Trichter schaut, als wäre da was zum Fressen drin.«
»Welcher Hund?« Reintgen kapierte nicht.
Wenn seine Anspielungen sogar in der Mordkommission nicht verstanden wurden, fühlte Raupach sich leer, ein bisschen so, wie wenn man in einem Aufzug schnell abwärts fährt, hinein in den tiefen, nach Schmieröl und rostigen Stahlseilen riechenden Schacht des Hirntods.
»Dann will ich mal nicht weiter stören«, sagte er und gab seinen Mitarbeitern Gelegenheit, bis spät in die Nacht an ihren Berichten zu sitzen. Auch Photini. Mit ihrem schlimmen Auge und all dem Adrenalin, das noch durch ihre Adern schoss, konnte sie ohnehin nicht heimgehen und einschlummern.
»Sie lassen uns hier schmoren?«, fragte Reintgen.
»Immerhin haben Sie das Taxi sofort sichergestellt. Aber für ein Fleißbildchen reicht das noch nicht.«
»Wollen Sie uns beim Nachsitzen nicht beaufsichtigen?«
Raupach nahm einen kurzen schwarzen Mantel vom Haken. »Nichts lieber als das, Reintgen, ich bin sehr für betreutes Lernen. Aber ich sehe mir jetzt mit einem Kollegen vom Drogendezernat Plavotics Wohnung an. Vernehmung dann morgen früh. Bis dahin dürfte er wieder wohlauf sein. Fofó hat ihn nicht allzu sehr beschädigt.«
»Das war große Klasse«, sagte Hilgers und sprach damit aus, was alle dachten. Nur Reintgen schaute genervt weg und schmollte.
»Ja, ganz ordentlich.« Raupach beließ es dabei. Lob hatte Photini nicht verdient für ihre überstürzte Aktion ohne Rückendeckung. Er hätte nie gedacht, dass ihr nächtliches Tête-à-Tête mit Milan so enden würde, mit Gewalt, einer Räuber-und-Gendarm-Posse und überraschend klaren Indizien.
Doch Indizien wofür? Gut, Plavotic dealte, aber was bewies das, wohin führte es? Dass er sich vielleicht am Tatort aufgehalten hat, zu einem beliebigen Zeitpunkt, das war alles. In seiner Arrestzelle konnte er sich über Nacht eine passende Geschichte ausdenken.
Es wäre Raupach lieber gewesen, wenn Photini den Druck nur ein wenig erhöht hätte, um dem Jungen Gelegenheit zu geben, einen nützlicheren Fehler zu begehen als eine Polizistin zu verletzen – was allerdings schwerwiegend und folgenreich genug war. Diese Festnahme kam zu früh.
In der Halle, in der konfiszierte Kraftfahrzeuge untersucht wurden, befand sich das Taxi schon auf der Hebebühne. Reintgen schien die Spurensicherung wohl für verkappte Zollfahnder zu halten und Plavotic für einen Großdealer, der seinen Wagen mit einer Drogenkollektion ausgestopft hatte, weil unter dem Fahrersitz ein Beutel mit hundert Gramm Haschisch versteckt gewesen war. Von einer genaueren Untersuchung des Wageninneren versprach er sich DNA-Spuren von Otto Wintrich, dann konnten sie Plavotic festnageln, wie er meinte.
Zu dieser späten Stunde war niemand aus Effies Team im Dienst. Nur Hattebier saß in seinem Büro, der Chef der Putzerfische, wie er seine Leute selbst bezeichnete. Er nutzte die Nachtstunden für ballistische Studien am Polizeicomputer und erfreute sich an der Ästhetik von Projektilbahnen, Einschuss- und Austrittswinkeln. Manchmal fügte er Vektoren ein in der Annahme, seiner freien Zeit damit eine Richtung zu geben. Leute, die mit ihrer Eisenbahn spielten, hatten ein ähnliches Innenleben. Abfahrt: Sig Sauer P220. Ankunft: linker Lungenflügel.
Bei Nacht war Hattebier halbwegs erträglich. Also schaute Raupach auf einen Tee bei ihm herein, einen pechschwarzen Assam. Trotz seiner Spleens war Hattebier ein Mann mit Geschmack.
Es gab keinen Zucker, was Raupach nichts ausmachte. Hattebier klickte seine Lieblingsvektoren weg und holte Wintrichs Spatenwunde auf den Bildschirm. Seine randlose Brille ließ ihn gnadenloser wirken, als er eigentlich war.
Raupach erkundigte sich nach Hattebiers an Alzheimer leidender Ehefrau. Kein Grund zur Klage,
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