Das geheime Kind
nicht.«
RAUPACHS HANDY KLINGELTE. »Was ist denn, Reintgen?«
»Schlechte Nachrichten, Chef. Kotissek ist hinüber.«
»Was?«
»Mausetot. Ich hab ihn hinter einem Supermarkt in der Osterather Straße gefunden.«
»Gefunden?«
»Gefunden.«
»Und weiter?«
»Die Leergutannahme ist ein Pennertreffpunkt«, erklärte Reintgen. »War nicht schwer, ihn aufzuspüren. Na ja, und da lag er, vor den Müllcontainern, bewusstlos. Irgend jemand hat ihn übel zusammengeschlagen.«
»Nein!«
»Ich hab natürlich sofort einen Krankenwagen gerufen. Auf dem Weg in die Klinik in Köln-Kalk muss er dann gestorben sein. Innere Verletzungen, nehm ich an.«
»Kotissek war unser vierter Mann am Tatort«, sagte Raupach. »Auf den waren wir angewiesen!«
»Sie haben sich doch schon mit ihm unterhalten und nichts aus ihm rausgekriegt.«
»Da war er verkatert und misstrauisch. Ich wollte ihm noch ein wenig Zeit geben.«
»Was du heute kannst besorgen …«
»Keine blöden Sprüche, Reintgen. So läuft das nun mal bei einer komplexen Ermittlung, wir können nicht überall sein.«
»So komplex ist das gar nicht. Wenn ich nicht zusammen mit Hilgers diesen Plavotic hätte beschatten müssen, was rein gar nichts gebracht hat, wäre uns Kotissek nicht durch die Lappen gegangen.«
»Sie haben Plavotic verloren, wenn ich Sie daran erinnern darf. Deshalb musste Photini ja überhaupt erst in Aktion treten.«
»Auf eigene Faust, das möchte ich mal festhalten.«
»Ich werde mich nicht mit Ihnen rumstreiten. Sind Sie in dem Krankenwagen mitgefahren?«
»Nein, und deswegen mache ich mir Vorwürfe. Die Sanitäter sagen, Kotissek hätte im Koma gelegen. Aber wenn ich ihm die Hand gehalten hätte, wäre er möglicherweise aufgewacht und hätte ein paar letzte Worte gesprochen.«
Raupach überging die Ironie. Oder war es Hohn? »Irgendeine Ahnung, wer ihn so zugerichtet haben könnte?«
»Der Gleiche, der Wintrich auf dem Gewissen hat, da möchte ich wetten.«
»Beseitigung eines Mitwissers oder Zeugen.«
»Oder ein Penner, der Kotissek seine Pfandflaschen abknöpfen wollte. Suchen Sie sich’s aus.«
»Clausing soll sich um die Leiche kümmern«, sagte Raupach.
»Die ist schon auf dem Weg in die Gerichtsmedizin.«
»Und Sie sind noch im Krankenhaus in Köln-Kalk?«
»Ja.«
»Bleiben Sie dort. Vielleicht schicke ich Ihnen noch die Spurensicherung, falls ich jemanden finde, die sind im Dauereinsatz.«
»War das dann alles?«
Raupach legte auf.
Reintgen wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Telefonhörer fühlte sich klebrig an. Warum war der Kerl bloß so schnell abgekratzt? Eine Rippe, die sich in die Lunge gebohrt hatte? Herzinfarkt?
Was soll’s, er war ja noch mal aus der Sache rausgekommen.
HEIDE VERLIESS DIE PARZELLE der Plavotics. Dort war nichts mehr zu holen. Nach der ersten Aufregung über den Tränengaseinsatz hatten die Hunde das Grundstück noch nach Drogen und etwaigen Verstecken im Boden oder im Haus abgesucht, aber nichts gefunden. Heide bedankte sich und schickte die Staffel weg. Die Tiere hatten mehr als genug geleistet.
Anders sah es hinter dem Rhododendron im Nordpark aus. Das Gas verzog sich, Randalierer und Schaulustige verschwanden, Bereitschaftspolizisten sicherten das Gelände. Überall lagen Flaschen und Steine und Müll herum. Eine Katastrophenlandschaft.
Effie setzte ihre Untersuchungen fort. Zuerst fiel ihr der Stamm der jungen Buche auf. »Hier wurde scharf geschossen. Eine Kugel schlug in dem Baumstamm ein, auf Brusthöhe. Das Projektil blieb in einer knorrigen Stelle stecken und wurde mit einem Messer entfernt. Pistole, großes Kaliber. Keine Polizeiwaffe.«
Heides Glock fühlte sich schwer an in dem Schulterholster. Sie hatte dreimal abgedrückt, überreizt, aus einem Reflex heraus. Es gab keine Blutspuren, doch das hatte wenig zu bedeuten. Bei einem Steckschuss konnte es eine Weile dauern, bis der rote Saft dicke Winterkleidung durchdrang.
»Gibt’s noch mehr Kugeln?«
»Der Schütze müsste da drüben gestanden haben.« Effie wies in Richtung des Pavillons. »Ausgehend von dem Schusswinkel … Das haben wir gleich.«
Sie machte kehrt und entfernte sich in gerader Linie, gebückt, damit ihr nicht das Geringste entging. Der Himmel war eine einzige Wolkendecke, sie fing nirgendwo an und hörte nirgendwo auf, als läge die Stadt unter einem angelaufenen Glassturz.
»Fassen wir mal zusammen«, sagte Heide. »In der Tatnacht hat unsere Zielperson die Tasche mit der Babyleiche
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