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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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Vergewaltiger signalisieren?«
    »Das ist eine Einladung. Ich mach’s mit jedem«, meinte Raupach. »Und weil ich jeden ranlasse, macht mich das vielleicht nicht mehr so interessant für jemand Speziellen?«
    »Stimmt, aber nur zum Teil. Die Bilder sind nicht frech oder bewusst provokant. Sie macht keine obszönen Gesten oder so etwas, es gibt keine vielsagenden Blicke, keine ekstatischen Grimassen, kein Porno-Gehabe.«
    Photini starrte unentwegt auf den Bildschirm und begriff. »Du kriegst mich«, sagte sie langsam. »Alles von mir. Aber du brauchst mir nicht weh zu tun. Keine Schläge, kein gewaltsames Eindringen.«
    »Genau, sie liefert sich förmlich aus«, stimmte Jakub zu. »Viele Frauen tun das, wenn sie bei einer Vergewaltigung keinen anderen Ausweg sehen. Sie möchten mit heiler Haut davonkommen und lassen aus Angst oder vor Schreck alles über sich ergehen.«
    »Wenn sie sich nicht wehren, haben sie es schwer vor Gericht«, wandte Raupach ein.
    »Die Rechtsprechung ist in dieser Hinsicht völlig realitätsfern.« Photini kannte genug Fälle, bei denen den Frauen stillschweigendes Einverständnis unterstellt wurde. »Ein labiler Typ wie Corinne wählt den Weg des geringsten Widerstands.«
    »Und im Internet kann sie das durchspielen«, fuhr Jakub fort, »gefahrlos, ohne körperlichen Kontakt. Sie ist jederzeit Herrin der Situation. Die Fotos etablieren zunächst eine Grundsituation. Corinne führt ihren Körper vor, ohne Scham, aber auch ohne kalkulierte Schweinereien. Sie deckt nichts ab oder dreht sich zur Seite, tut so, als sei das ganz normal. Sie zeigt sich Stück für Stück, wie bei einer anatomischen Studie.«
    »Oder einer Fleischbeschau«, ergänzte Photini.
    »Und dann geht sie in den Chat. Den kann sie steuern, mit Erwartungen jonglieren, sich entblößen oder verhüllen, wie es ihr passt.«
    »Aus sicherer Entfernung. Das Einzige, was sie von den Internetbenutzern mitkriegt, sind die Kommentare in dem Dialogfenster.« Photini öffnete zur Demonstration die Profilseite eines Mädchens namens Liliana, das laut Anzeige online war. Liliana unterhielt sich gerade mit einem Gast und wollte wissen, ob sie ihm gefalle. Sie trug eine durchsichtige weiße Leinenbluse, die offen stand. »Geht so«, gab der Gast ein.
    »Wenn es Corinne zu viel wird, bricht sie den Chat einfach ab«, sagte Jakub. »Das gibt ihr die Macht zurück, die sie bei einem Missbrauch verloren hat, wahrscheinlich sogar bei fortgesetztem Missbrauch, davon müssen wir ausgehen. Im Internet kann sie endlich nein sagen, sich verweigern, die Kunden beschimpfen oder verhöhnen.«
    Liliana schlüpfte aus einem Blusenärmel und ließ ihn über die Schulter nach hinten fallen.
    Jakub fuhr über ein paar Bartstoppeln am Kinn und setzte seinen Vortrag fort. »Oder sie geht auf Wünsche ein wie Liliana hier, das ist genauso möglich. Sie macht mit, bis zu einem bestimmten Punkt oder sogar darüber hinaus, egal. Wichtig ist nur, dass sie die bestimmende Instanz ist, dass sie handelt, zu ihren eigenen Konditionen. Was die Kerle da draußen an ihren Monitoren tun, ob die sich einen runterholen oder ein anderes Mädchen anklicken, ist für Corinne zweitrangig. Da steht sie drüber, das erreicht sie nicht. Auf diese Weise spielt sie ihre sexuellen Traumata immer wieder durch.«
    »Funktioniert das?«, fragte Photini.
    »Bestenfalls gelingt es ihr, das Erlebte zu rationalisieren und ein wenig zu relativieren. Ich bin gespannt auf die Chat-Protokolle, der Betreiber der Website muss sie uns als Beweismaterial zur Verfügung stellen.«
    Raupach verfolgte weiter den Video-Chat. Striptease mit Wortbeiträgen, mitten am Nachmittag. Lilianas Bluse war verschwunden. Sie pustete in ihr Höschen, das sie wie einen Mundschutz vors Gesicht gespannt hatte. »Wenn sie einen Gast als Kunden wirbt, springt dann eine Prämie heraus?«
    »Genau so wird abgerechnet«, sagte Photini.
    »Woher weißt du das?«
    »Ich hab Liliana gefragt, online, als nichts bei ihr los war. Sie bekommt Prozente von jeder neuen Mitgliedschaft. Das Geschäft läuft ziemlich gut.«
    Das Mädchen pustete immer noch, dem Gast schien’s zu gefallen. Raupach schloss das zusätzliche Fenster. »Für Corinne war es also eine Art Selbsttherapie?«
    »Ja«, erwiderte Jakub. »Prinzipiell ist das nicht verkehrt. Aber es ist gefährlich. Wer sagt ihr, wann es genug ist? Wer leitet einen Ablösungsprozess ein? Das geht nur mit professioneller Hilfe, glaubt mir, sonst gerät sie in einen Suchtkreislauf.

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