Das geheime Kind
Hoffnung verloren und jede Bindung an die Welt. Der trug eine Last, die zu schwer wog, um sie auf einem Blatt Papier niederzulegen.
Photini verständigte Raupach per Funk. Dann wartete sie auf zwei Kollegen, die die Wohnung sichern sollten.
Ihr Blick fiel auf die Poster an der Wand. Delphine, ein Schimpanse.
Himmel, war das traurig.
Neben Büchern auf dem Boden lag ein Laptop. Photini fuhr den Computer hoch und öffnete das Internetprogramm. Womit sich Corinne wohl die Zeit vertrieben hatte? Vielleicht gehörte sie zu einer Community, einem dieser Netzwerke, mit deren Hilfe man neue Freunde gewann?
Die Startseite zeigte das erotische Profil eines Mädchens namens Lara. Die Nachrichten, die sich in Laras Postfach befanden, waren alles andere als freundschaftlich. Gast 172 beschwerte sich, dass er gerade bezahlt hatte und die Zoom-Funktion benutzen wollte. Lara sollte seinen Zugang freischalten und endlich zeigen, was sie hatte, aus allen Perspektiven.
RAUPACH STAND VOR DER FENSTERFRONT, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Er beobachtete Milan.
Sie hatten den Jungen lange allein gelassen. Ihm sollte dämmern, wie verfahren seine Situation war. Dass er keine Chance hatte, wenn er der Polizei nicht ein Stück entgegenkam.
Jakub brachte ihm gerade die Nachricht von Corinnes Selbstmordversuch bei, zum Auftakt der nächsten Sitzung. Das tote Baby verschwieg der Psychologe fürs Erste.
Onkel und Tante waren wieder gegangen, nicht ohne die Methoden des Kommissars zu kritisieren. Milan müsse einen Anwalt bekommen, ob er wolle oder nicht. Wegen seiner Verletzung dürfe man nicht so hart mit ihm umspringen.
Raupach hatte die Einwände zur Kenntnis genommen und den Plavotics gesagt, ihr Neffe könne sich am besten selber helfen, die Ermittlung gehe weiter ihren Gang. Verständnis zu heucheln war nicht seine Art. Und falsche Hoffnungen wollte er den Leuten nicht machen.
Es stimmte, Raupach hatte Milan heftig beharkt. Zwischen Unnachgiebigkeit und Sadismus verlief ein schmaler Grat. Manchmal überschritt man ihn, unwillkürlich, das war kaum zu vermeiden. Schwierige Vernehmungen brachten selten etwas Gutes hervor. Sie wurden zu einem Schlagabtausch, bei dem jede Seite fintierte, verheimlichte, in die Irre führte, log und betrog. Wichtig war, trotz allem wieder zu Wahrheit und Integrität zurückzukehren, zum rechten Maß. Und das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Milan geriet außer Balance, das war deutlich zu sehen. Er rutschte und schwankte auf seinem Stuhl umher und wiederholte andauernd, was Jakub sagte, wollte nicht wahrhaben, dass Corinne sich etwas angetan hatte, wie er sich ausdrückte. Lehre abgebrochen? Beruhigungsmittel? Ihr kleiner Bruder hat sie gefunden? Kein Abschiedsbrief? Wird sie’s wirklich überstehen?
Dann blieb er eine Weile still. Er blickte von Raupach zu Jakub und schien sich zu fragen, ob das ein neuer Trick war, ein Einschüchterungsversuch.
War es nicht, las er aus den versteinerten Mienen der Polizisten.
Jakub fing von der Sporttasche an, in dem Kürbisbeet. Ob sie der Grund für den Streit gewesen sei in der Nacht, als Wintrich starb.
Milan runzelte die Stirn. »Was für eine Sporttasche? Was soll das jetzt?«
»Sag du es uns.«
Er schüttelte den Kopf, fühlte sich offenbar gestört in seinen Überlegungen. Schließlich nahm er die Halsmanschette ab, als befreie er sich von einer Fessel. Begann zu reden.
»Ich habe Otto umgebracht.«
»Aha.«
»Wollen Sie das nicht irgendwie festhalten, auf Band oder so?«
»Später«, sagte Raupach. »Was genau ist passiert?«
»Das meiste haben Sie schon erraten. Corinne hat mich angerufen, ich sollte in die Heckenrose kommen. Sie hatte vor, mit Wintrich Schluss zu machen und bat mich, ihr beizustehen. Sie dachte, dass sie es allein nicht schaffen würde. Also fuhr ich hin.«
»Warum in die Kleingärten?« Jakub fing an, sich Notizen zu machen.
»Dort hatten sie sich verabredet. Corinne kannte das Gartenhäuschen. Als wir noch zusammen gewesen waren, haben wir uns ein paarmal dort getroffen.«
»Deswegen die Kondome.«
»Es war nicht so, dass wir andauernd Sex gehabt hätten. Corinne war in dieser Beziehung ziemlich zurückhaltend. Mir machte das nichts aus, ehrlich, ich hab sie zu nichts gedrängt. Hab gewartet, bis sie so weit war.« Er lächelte dünn. »Als sie dann ja gesagt hat, waren uns die Gummis herzlich egal, die haben wir erst später benutzt.«
»Wann habt ihr miteinander geschlafen?«, fragte Jakub.
»Ist das
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