Das geheime Leben der CeeCee Wilkes

Familie vorenthalten hat?”
    “Sie hat deine Mutter nicht umgebracht. Sie hat ein paar unglaublich dumme Entscheidungen getroffen. Bist du heute noch dieselbe Person wie mit sechzehn?”
    “Ich hätte niemals getan, was sie getan hat.”
    “Vielleicht hat das ja was mit deiner Kindheit zu tun, die du in unserer schrecklichen Ersatzfamilie verbracht hast.”
    Touché, dachte sie.
    “Dad, ich bin schwanger, hast du das vergessen? Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, entführt zu werden und …” Sie konnte es sich nicht vorstellen. Es war zu entsetzlich.
    “Ich weiß, wie schwer das alles für dich sein muss, Cory, aber dieses eine Mal musst du wirklich selbst nachdenken. Du glaubst, dass Ken dich vor deiner überfürsorglichen Mutter gerettet hat, aber er ist nur an ihre Stelle getreten. Und das, obwohl er dich nicht annähernd so liebt wie deine Mutter. Er ist selbstsüchtig. Er hat dich uns entfremdet, damit er dich ganz unter Kontrolle hat. Kannst du das denn nicht sehen? Du hast dich darüber beschwert, dass Eve dich nicht erwachsen werden ließ. Nun, du bist noch immer nicht erwachsen, und so langsam wird es höchste Zeit.”
    Sie legte wortlos auf. Was war mit ihrem Vater los?
Es musste schwer für sie sein?
Er hatte doch keine Ahnung wie man sich fühlt, wenn man plötzlich entdeckt, dass man ein anderer Mensch ist, als man immer dachte. Er war so damit beschäftigt, Eve zu verteidigen, dass er offenbar vergaß, wer den größten Preis für das alles bezahlen musste.
    Nach ein paar Minuten klingelte es erneut, aber diesmal war es eine Telefonnummer aus Virginia. Entweder Dru oder Russ. Sie nahm ab.
    “Warum hast du eben einfach aufgelegt?”
    “Weil ich sauer war. Deswegen.”
    “Tja, das ist wirklich mal ein guter Weg, einen Konflikt zu lösen.”
    “Dieser Konflikt ist einfach nicht zu lösen, Dru. Dad hat dich also gebeten, mich anzurufen und auszurichten, dass Eve Elliott mich unbedingt sehen muss?”
    Dru antwortete nicht sofort. “Nennst du sie neuerdings Eve Elliott? Das klingt so kalt.”
    “Es hilft mir, emotionale Distanz zu bewahren.”
    “Ich fände es gut, wenn du sie besuchen würdest. Sie will dich sehen. Wenn du dich fürchtest, dann gehe ich mit dir. Ist es weit von dir?”
    Corinne zögerte. Für sie war alles weit, aber sie wollte Dru gegenüber nicht zugeben, dass sie es allein nicht schaffen würde. “Weit genug.”
    “Sie hat bisher ihre Medikamente noch nicht bekommen.”
    Corinne wunderte sich, dass sie bei den Worten Empörung verspürte. “Wieso denn nicht? Die müssen den Inhaftierten doch geben, was sie brauchen, oder nicht?”
    “Ja, aber zuerst braucht sie eine Genehmigung, und das dauert alles viel zu lang. Sie hat starke Schmerzen. Und du bist ganz in der Nähe. Bitte, Cory, besuche sie.”
    “Nein, und wenn du damit nicht aufhörst, lege ich wieder auf.”
    “Schon gut, schon gut”, sagte Dru müde. “Ich werde dich nicht noch mal fragen. Es ist nur …” Sie brach ab.
    “Dru?”
    “Sie …” Dru begann zu weinen. Corinne wusste ganz genau, wie ihre kleine Schwester jetzt aussah – die Augen zusammengekniffen, die Lippen geöffnet und die Mundwinkel leicht nach unten gezogen. Dieser Anblick hatte schon immer ihr Herz weich werden lassen.
    “Ach, Dru, Liebes, was ist los?” Es spielte keine Rolle, warum Dru weinte, Corinne spürte sofort, wie sich ihre Augen aus Mitgefühl ebenfalls mit Tränen füllten.
    “Ich habe solche Angst, Cory”, presste Dru hervor. “Sie bauen da eine riesige Anklage gegen Mom auf. Ich vermisse sie so, und sie wird so lange im Gefängnis bleiben. Vielleicht bis an ihr Lebensende.” Dru begann zu schluchzen.
    Sie hatte Recht. Während Vivian ihr E-Mails mit dem Stammbaum schickte und Namen der Verwandten, die sie unbedingt kennenlernen wollten, klangen Russ’ E-Mails ernst und wütend. Sie waren voller boshafter Bemerkungen über Eve und Erwähnungen von Beweismitteln, die sein Anwalt gegen sie ins Feld führen wollte.
    “Entschuldige”, sagte Dru. “Wahrscheinlich findest du, dass sie bis ans Lebensende eingesperrt werden sollte. Vielleicht würde ich an deiner Stelle auch so denken. Aber sie ist so ein guter Mensch. CeeCee Wilkes gehört vielleicht ins Gefängnis, aber nicht Eve Elliott.”
    Corinne schluckte ihre Tränen hinunter. “Sie sind ein und dieselbe Person, Dru. Das ist das Problem.”
    Am Abend nach Drus Anruf zeigten die WIGH-Nachrichten Aufnahmen von Eve, wie sie aus einem Polizeiauto ausstieg und