Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
sitzt?”
“Sie muss bezahlen, Corinne”, entgegnete er ruhig. “Wenn man ein Verbrechen begeht, muss man dafür geradestehen.”
Sie hatte nicht vorgehabt, zu weinen, aber jetzt musste sie mit den Tränen kämpfen. Sie fühlte den Kloß in ihrem Hals. “Sie bezahlt doch schon dafür”, presste sie hervor. “Wenn du sie jetzt sehen könntest. Sie kann kaum noch laufen.” Sie zog ein Taschentuch aus der dunklen Lederbox auf seinem Tisch und drückte es gegen die Augen. Sie dachte an die lange Fahrt, die sie hinter sich und auch noch einmal vor sich hatte. Sie spürte Panik in sich aufsteigen, schob sie aber beiseite. Wenn sie es bis hierher geschafft hatte, würde sie auch wieder nach Hause kommen. “Meine Mutter … Eve Elliott hat furchtbare Schmerzen, aber sie beschwert sich nicht. Ich glaube, sie hat die ganzen letzten Jahre für ihre Fehler bezahlt.”
Plötzlich glaubte sie, etwas Sanftes in seinem Blick zu entdecken.
“Bitte, weine nicht, Liebes.”
“Wenn du mich liebst, wenn du diese selbstverständliche Liebe verspürst, von der du gesprochen hast, dann quäle sie bitte nicht noch mehr. Ich will weder dein Geld noch deinen Schmuck. Das ist das Einzige, worum ich dich bitte.”
Er zog die Augenbrauen zusammen, tiefe Falten durchzogen seine Stirn. “Du scheinst nicht zu verstehen, was du da von mir verlangst. Und von Vivian.”
“Doch, ich glaube schon. Ich weiß, ich verlange viel. Ich bitte dich, nicht nur deine Tochter zu lieben, das Kind, nach dem du dich all die Jahre gesehnt hast. Ich bitte dich,
mich
zu lieben. Corinne Elliott.”
Er starrte sie an, schüttelte den Kopf und wechselte das Thema. “Ich dachte, du fährst keine weiten Strecken.”
Sie lehnte sich überrascht in ihrem Stuhl zurück. “Das stimmt”, gestand sie. “Ich habe schreckliche Angst vor der Autobahn. Ich habe mindestens zehn Mal anhalten müssen.” Sie sah ihn direkt an. “Aber manche Dinge sind einfach zu wichtig, da darf man sich von nichts abhalten lassen – nicht einmal von der eigenen Angst.”
EVE
69. KAPITEL
L iebe CeeCee
,
als ich zum ersten Mal von meiner Krankheit erfuhr, hatte ich das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Es war das schlimmste Gefühl der Welt. Dabei ging es mir weniger um den Tod oder die Schmerzen oder sonst was. Es ging darum, dass ich keine Kontrolle über mein Leben hatte. Als würde man im Gefängnis sitzen. Und dann, eines Morgens, wachte ich mit einem völlig neuen Gedanken auf. Ich erkannte, dass nur mein Körper gefangen war. Mein Geist aber war noch immer frei. Das war ein unglaubliches Gefühl! Zwar kann ich nicht nach Europa reisen oder auf einen Berg klettern oder auch nur mit dir an der Uferpromenade entlangschlendern, aber meine Gedanken kann ich noch immer fliegen lassen. Es ist ein Klischee, dass Krankheiten ein Geschenk sein können. Manchmal aber stimmt es.
In Liebe, Mom
Eve war bereits drei Wochen im Gefängnis, als sich ein Besucher ankündigte. Sie saß hinter der Plexiglasscheibe und überlegte angestrengt, wer die Frau ihr gegenüber sein konnte. Sie war in ihrem Alter, hatte grau meliertes Haar und kam ihr ganz und gar nicht bekannt vor. Was sie dann aber sofort erkannte, war die Schachtel, die die Unbekannte vor sich auf den Tisch gestellt hatte. Eve schlug eine Hand vor den Mund.
“Ronnie?”, flüsterte sie.
Ronnie lächelte fast ein wenig schüchtern. “Ich war mir nicht sicher, ob du mich erkennst.”
“Aber natürlich. Du siehst noch immer aus wie Olivia Newton-John.”
“Meine Haare sind inzwischen wohl etwas anders.” Ronnie kicherte. “Vom Rest meines Körpers mal ganz abgesehen.”
Eve deutete auf die Schachtel. “Sind das …?”
Ronnie nickte. “Ich habe sie aufgehoben. Ich weiß doch, wie wichtig sie dir waren, deswegen habe ich sie immer mitgenommen, wenn ich umgezogen bin, in der Hoffnung, dass ich dich eines Tages finden würde, um sie dir zurückgeben zu können. Ich muss allerdings gestehen, dass ich nie erwartet hätte, dich im Gefängnis besuchen zu müssen.”
Eve lächelte. “Irgendwie unwirklich, oder? Ich schätze, du kennst die ganze Geschichte?”
“Gibt es überhaupt einen Menschen auf der Welt, der sie nicht kennt? Aber du tust mir wirklich leid. Du warst so jung, und Tim hat dich ausgenutzt.”
“Ich habe großes Glück, nur zu einem Jahr verurteilt worden zu sein.” Eve wusste, dass das Urteil härter ausgefallen wäre, wenn Irving Russell sich nicht für sie eingesetzt hätte. Sie verstand nicht,
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