Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
Bus bereits so angespannt, dass CeeCee sie zu spüren glaubte. Noch lagen eineinhalb Stunden Fahrt vor ihnen. Der Schalensitz drückte ihr schmerzhaft in den Rücken. Marty saß hinten, hielt eine handgemalte Karte auf den Knien und eine Flasche Bier in der Hand. Seit sie auf der Autobahn waren, stritten sich die Brüder darüber, wie sie fahren mussten. Am liebsten hätte sie die beiden angeschrien, doch einfach die Klappe zu halten. Wenn sie sich nicht einmal auf etwas so Simples wie den Weg nach New Bern einigen konnten, wie sollten sie dann in den nächsten Tagen in der Lage sein, wirklich kritische Situationen zu meistern? Aber sie sagte nichts, um Tim nicht noch mehr aufzuregen. Bei allen lagen die Nerven blank. Schließlich waren dies die letzten Stunden, die sie als gesetzestreue Bürger verbrachten.
Auf der Matratze hinten im Bus stapelten sich Koffer, Taschen und Rucksäcke. Tim hatte einen ganzen Tag zum Packen gebraucht, und es hatte sie geschmerzt zu sehen, wie er abwog, was er mitnehmen und was er zurücklassen sollte. Er und Marty würden nie wieder in die Villa zurückkehren. Sie hingegen hatte nur ein paar Kleider eingepackt und ihre Zahnbürste. Mehr würde sie nicht brauchen. Drei Tage, höchstens, hatte Tim gesagt. Dann wäre Andie in Sicherheit, die Frau des Gouverneurs frei und CeeCee könnte zurück nach Chapel Hill fahren.
Sie durfte die Musik für die Fahrt aussuchen und hatte sich für die Eagles, Creedence Clearwater Revival, Queen, Chicago und die Stones entschieden. Nicht gerade beruhigende Musik.
“Stell den Scheiß ab”, zischte Marty sie an, als Queen “We are the Champions” schmetterten.
“Sprich nicht in diesem Ton mit ihr”, rief Tim.
“Ist schon gut.” Sie nahm die Kassette heraus. “Was möchtest du hören, Marty?”
“Ich weiß nicht.” Auf einmal klang er trostlos. “Die Stones vielleicht.”
Sie legte die neue Kassette ein und “Under my Thumb” erklang.
“Dreh das leiser.” Diese Musik war anscheinend nichts für Tim.
CeeCee befolgte sofort seine Anweisung. Sie hätte alles getan, um die Stimmung im Bus nicht weiter zu gefährden.
Tim wechselte die Autobahn und sofort packte ihn Marty an der Schulter. “Ich habe dir doch gesagt, dass du diese Autobahn nicht nehmen sollst!”, schrie er.
“Lass mich los.” Tim umklammerte das Steuer so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. “Es ist nur noch ein Katzensprung von hier, Marty.”
“Hört auf, ihr beiden!”, schrie CeeCee. “Wir müssen zusammenhalten, okay? Ihr habt mir doch die ganze Zeit gepredigt, wie einfach alles wäre, und jetzt geht ihr euch gegenseitig an die Gurgel.”
Die beiden Männer hielten den Mund, vermutlich erstaunt über ihren barschen Ton. Fast eine Stunde lang sagte niemand ein Wort. Nach den Stones legte sie die Eagles ein und versuchte, es sich bequem zu machen und die vorbeifliegende Landschaft zu betrachten.
“Jetzt, Leute, sind wir wirklich in der Pampa”, brach Marty plötzlich das Schweigen.
“Je mehr Pampa, desto besser”, bemerkte Tim.
Marty beugte sich nach vorn und zeigte auf ein Pinienwäldchen. “Da musst du einbiegen.” Sie konnte Bier und Zigarettenrauch in seinem Atem riechen.
Tim fuhr auf einen schmalen Weg.
“Und gleich muss rechts eine Straße abgehen”, sagte Marty. “Ich schätze, noch ungefähr eine Meile.”
Er hatte das Pärchen, bei dem sie die Nacht verbringen konnten, schon einmal besucht.
“Hier?” Marty spähte durch die Frontscheibe. “Ja”, beantwortete er seine eigene Frage. “Fahr hier rein.”
Tim tat, wie ihm geheißen. Die Bäume und Büsche standen so dicht, dass die Äste am Auto kratzten. Obwohl es erst drei Uhr nachmittags war, schien es, als läge diese Gegend in ewiger Finsternis. Die Kassette war zu Ende, in der Stille des Wagens konnte CeeCee beinahe ihr Herz klopfen hören. Nur noch ein paar Minuten, dann war alles anders, dann wurde es ernst. Mit schlechtem Gewissen hoffte sie, dass irgendetwas ihren Plan durchkreuzen würde. Die Entführung sollte am nächsten Abend stattfinden. Vielleicht würden ja die Leute, bei denen sie übernachten wollten, Marty und Tim diese verrückte Idee noch ausreden.
Ronnie und George hatte sie erzählt, dass sie eine Freundin in Pennsylvania besuchen wolle. George war ziemlich sauer. Ronnie hingegen ermunterte sie. “Du musst hier mal raus. Seit der Trennung bist du so deprimiert.”
Sie war nicht deprimiert, aber offenbar konnte sie hervorragend Theater spielen.
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