Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
genau zu sein, wäre es sogar anstrengender, eine Person mehr im Haus zu haben, hinter der sie aufräumen musste. Und doch wünschte sie sich, dass ihre Tochter zumindest noch ein Jahr zu Hause bleiben würde. Sie war noch nicht so weit, allein zu leben. Außerdem erschien es ihr unvorstellbar, dass Cory ausgerechnet dort studieren sollte, wo sie diese törichten Entscheidungen getroffen und sich von einem gefährlichen Mann hatte ausnutzen lassen. Allerdings stand sie mit ihrer Ansicht allein da. Sowohl Jack als auch der Studienberater hielten die Zeit für gekommen, dass Cory in eine andere Stadt zog.
“Sie hat nun seit siebzehn Jahren Angst, von dir getrennt zu werden”, hatte Jack zuvor im Auto gesagt. “Es ist höchste Zeit, Eve. Das weißt du doch selbst, oder nicht?”
Sie wusste es, und deswegen hielt sie sich aus der Diskussion auch so gut wie möglich heraus.
“Na gut, dann gehe ich eben”, stimmte Cory schließlich zu. Sie blickte von Eve zu Jack und wieder zu Eve. “Ich hatte keine Ahnung, wie dringend ihr mich loswerden wollt.”
Es klang wie ein Scherz. Zumindest hoffte Eve, dass es einer war.
Am darauffolgenden Nachmittag war Eve mit Jack im University Diner zum Mittagessen verabredet. Sie parkte ihren Motorroller direkt vor der Tür und humpelte zu einem Tisch. Seit einem Jahr fuhr sie mit dem Roller, mit dem sie eine Hassliebe verband. Einerseits hatte sie durch ihn ihre Bewegungsfreiheit zurückgewonnen, zugleich raubte er ihr aber jegliche Hoffnung, jemals wieder schmerzfrei laufen zu können.
Eve fühlte sich mit fünfunddreißig eher wie fünfundsiebzig und befürchtete, auch so auszusehen.
Jack kam herein, gebräunt und schlank, und zum ersten Mal fragte sie sich, ob er sie eigentlich noch attraktiv fand. Er schien so viel jünger und lebendiger zu sein als sie.
“Hi, Evie.” Er gab ihr einen Kuss, bevor er sich setzte. “Wie war dein Tag bisher?”
“Gut.” Sie versuchte, strahlend zu lächeln. “Und deiner?”
“Verrückt wie immer.” Er breitete eine Serviette über seinen Schoß. “Hast du gehört, dass es nächstes Jahr an der Uni einen neuen Präsidenten geben soll?”
“Jemand, den wir kennen?”
“Keiner der üblichen Anwärter”, meinte Jack. “Ein Typ namens Irving Russell. Er war früher Gouverneur von North Carolina.”
Eve konnte nicht sprechen. Die junge Bedienung, die sie beide mit “Honey” ansprach, kam an ihren Tisch, und irgendwie schaffte sie es, sich einen Salat zu bestellen.
“Ist das schon sicher?”, fragte sie dann.
“Scheint so, und ich weiß nicht genug über ihn, um etwas zu der Entscheidung zu sagen. Kennst du ihn?”
Sie schüttelte den Kopf. “Eigentlich nicht.”
“Sein Name tauchte in den Siebzigern oft in den Nachrichten auf, als er noch Gouverneur war, aber damals hast du wahrscheinlich in Portland oder Charleston gelebt. Seine Frau wurde entführt. Zwei Typen wollten damit ihre Schwester aus dem Gefängnis freipressen.”
Wie würde jemand, der keine Ahnung von dieser Geschichte hatte, reagieren?
“Und wurde sie freigelassen?”, fragte sie.
Jack schüttelte den Kopf. “Nein, sie wurde hingerichtet. Und die Frau von Russell wurde nie gefunden.”
“Ich kann mich schwach erinnern”, entgegnete Eve vorsichtig. “Wie schrecklich.” Nun war sie zum ersten Mal erleichtert, dass Cory in Carolina studieren würde. Sie sollte nicht an derselben Universität sein wie Russell.
Und sie selbst auch nicht.
39. KAPITEL
“I ch finde, wir sollten umziehen”, sagte Eve an diesem Abend zu Jack, nachdem Dru und Cory zu Bett gegangen waren. Sie saßen auf dem Sofa, Jack hatte den Kopf auf ihren Schoß gelegt, und beide lauschten dem Soundtrack von
Les Miserables.
Bei ihrem Vorschlag riss er die Augen auf.
“Was hast du gesagt?”, fragte er. “Sagtest du gerade, wir sollten
umziehen?”
Seit sie die Neuigkeit über Irving Russell erfahren hatte, konnte sie an nichts anderes als an Flucht denken. Ursprünglich war sie ja sowieso davon ausgegangen, dass sie immer auf der Flucht sein würde. Es war anders gekommen, doch vielleicht kam ihr friedliches Leben jetzt zu einem Ende. Andererseits, wie sollte man flüchten, wenn man sich um zwei Kinder kümmern und den Beruf des Ehemanns in Betracht ziehen musste?
“Fändest du eine Veränderung nicht auch gut?”, fragte sie. Eine tiefe Falte hatte sich zwischen Jacks Augenbrauen gebildet, und sie strich mit einem Finger darüber. “Wir leben schon so lange hier.”
“Aber
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