Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
die Füße kaum belasten, und jetzt taten auch die Finger und Knöchel weh, wenn sie etwas auf der Maschine tippte. Außerdem war sie oft müde. Sie legte die Termine mit ihren Patienten mittlerweile so, dass sie mittags nach Hause gehen und schlafen konnte.
“Rheumatische Arthritis ist eine Autoimmunerkrankung. Sie kann den ganzen Körper betreffen, nicht nur die Gelenke. Deswegen sind Sie so müde. Ich werde Sie an einen Rheumatologen überweisen.”
“Ist es heilbar?”
Er schüttelte den Kopf. “Aber man kann es behandeln. Und je eher Sie beginnen, desto besser.”
Die ersten beiden Medikamente, die sie ausprobierte, halfen nicht. Inzwischen hinkte sie und ihre Handgelenke sahen dick und deformiert aus. Am schlimmsten aber waren ihre Füße betroffen. Nachts weinte sie vor Schmerz.
“Wie kann ich dir nur helfen?” Jack wischte ihr die Tränen von den Wangen.
“Du kannst nichts für mich tun.”
“Wie fühlt es sich an?” Jack wusste nicht einmal, was Kopfschmerzen waren.
“Es ist, als ob … stell dir vor, du streckst den Fuß im Mai ins Meer, das eiskalt ist.”
“Dann wird der Fuß taub.”
“Ja, aber vorher gibt es diesen schrecklichen Schmerz.”
“Mhm. So fühlt es sich an?”
“Ja.”
“Ach Evie, lass mich deinen Fuß massieren. Bitte.”
“Nein.” Eve krümmte sich bei der Vorstellung. “Bitte rühr ihn nicht an.” Sie wusste, wie hilflos Jack sich fühlte, aber es gab wirklich nichts, was er – oder irgendjemand sonst – tun konnte.
Ihre Töchter reagierten unterschiedlich auf ihre Krankheit. Dru schien ihre Schmerzen gar nicht wahrzunehmen, ganz im Gegensatz zu Cory.
“Kannst du daran sterben?”, fragte sie eines Tages, als sie früher aus der Schule kam und überrascht feststellte, dass Eve im Bett lag.
“Nein.” Es war zwar möglich, aber unwahrscheinlich, und Cory wirkte so verzweifelt, dass Eve es für falsch hielt, ihr die Krankheit genau zu erklären. Stattdessen ergriff sie lächelnd ihre Hand. “Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen.”
Cory blickte zum Fenster. Inzwischen war sie sechzehn, hübscher denn je und noch immer eine Einzelgängerin. Obwohl sie Verehrer hatte, ging sie nie aus. Einige ihrer Klassenkameraden fuhren bereits Auto, aber sie weigerte sich aus Furcht vor einem Unfall, einzusteigen. Obwohl Eve wünschte, sie würde ein ganz normales Leben führen, teilte sie ihre Ängste und drängte sie nicht weiter.
“Du hast dich so verändert.” Cory richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Gesicht ihrer Mutter.
“Wie meinst du das?”
“Du bist irgendwie immer unglücklich. Und schaust immer finster drein.”
“Wirklich?”, fragte Eve erschrocken. “Muss ja sehr lustig sein in meiner Gesellschaft.”
“Das habe ich nicht gemeint, Mom. Sondern … ich will nicht, dass du krank bist.”
“Ich weiß, Liebes. Und danke. Ich arbeite daran, dass es mir bald wieder besser geht.”
Nachdem Cory das Zimmer verlassen hatte, dachte Eve an ihre eigene Mutter, die kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag gestorben war. Genevieve war zweiunddreißig gewesen. Und hier lag sie, inzwischen dreiunddreißig und noch immer am Leben. Jedes Jahr war ein Geschenk. Ein Geschenk, das sie nicht hoch genug schätzte. Die Ärzte konnten weder ihren Seelenschmerz noch die Entzündung ihrer Gelenke heilen. Doch sie konnte selbst entscheiden, wie sie damit umgehen wollte. Sie schwor sich, jeden Tag an ihre Mutter und Genevieve zu denken und nie zu vergessen, dass diese beiden Frauen verloren hatten, was sie noch immer besaß.
38. KAPITEL
1 995
Niemand war sonderlich überrascht, dass Cory sich weigerte, eine Universität in einer anderen Stadt zu besuchen.
“Ich will auf die UVA gehen und hier wohnen bleiben”, sagte sie.
Cory, Jack und Eve saßen im Sekretariat der Schule und besprachen Corys Möglichkeiten. Es gab genau zwei, und das auch nur, weil der Studienberater sie überredet hatte, sich noch an einem zweiten College zu bewerben. Entsetzt hatte Eve erfahren müssen, dass es sich dabei um die University of North Carolina in Chapel Hill handelte. Cory war an beiden Unis angenommen worden, nun musste eine Entscheidung getroffen werden.
“Meine Mutter ist krank und sie braucht mich”, erklärte Cory dem Studienberater, der von der atemberaubenden Schönheit mit dem langen, flammend roten Haar geradezu hypnotisiert zu sein schien.
“Nimm mich nicht als Entschuldigung”, sagte Eve. Ihretwegen musste Cory nicht zu Hause bleiben. Um
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