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Das geheime Leben des László Graf Dracula

Das geheime Leben des László Graf Dracula

Titel: Das geheime Leben des László Graf Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roderick Anscombe
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glaube kaum, daß es irgend jemanden hier interessiert, was wir tun. Du wirst feststellen, daß Budapest sehr kosmopolitisch ist. Fortschrittlicher.«
    »Glaubst du, daß es in unserem Haus noch andere Leute wie mich gibt?«
    »Es würde mich nicht wundern.«
    »Dann werde ich vielleicht Freundinnen finden.«
    »Aber gewiß, warum nicht«, stimmte ich halbherzig zu.
    »Würdest du es vorziehen, wenn ich es nicht täte?«
    »Nein, ganz und gar nicht. Aber du solltest vorsichtig in der Wahl deiner Bekanntschaften sein.«
    Die Gesellschaft an einem nahegelegenen Tisch war aufgestanden und verließ gerade das Restaurant. »Ja, ja«, nickte Estelle zerstreut, ganz davon in Anspruch genommen, die Aufmachung der modisch gekleideten Damen genauestens zu mustern.
    »Übrigens, wer war das denn?« fragte ich. Mein beiläufiger Ton bekam allmählich etwas Gezwungenes.
    »Am Bahnhof? Ach, niemand.«
    »Soll das heißen, daß du mit einem völlig Fremden sprechen würdest, den du zufällig im Zug triffst?«
    »Er ist kein völlig Fremder«, erwiderte sie etwas aufgebracht. »Wenn ich niemand sage, dann meine ich, daß er niemand ist, über den du dich aufzuregen brauchst.«
    »Ich war nur neugierig, das ist alles.«
    »Er war jemand, mit dem ich zusammen in die Schule gegangen bin. War es nicht ein merkwürdiger Zufall, ihm ausgerechnet in dem Zug zu begegnen? Ich habe ihn noch nicht mal erkannt.«

    »Aber er hat dich natürlich erkannt.«
    »Er hat sich vorgestellt, und der Name klang schon irgendwie vertraut, und dann mußte ich andauernd zu ihm hinschauen, bis mir plötzlich wieder einfiel, wer er war.«
    »Hat er dich in der Schule immer an den Haaren gezogen?« fragte ich, bemüht, meinen falschen Schritt von vorhin wiedergutzumachen, indem ich der Unterhaltung eine scherzhafte Wendung gab.
    »Nein, das hat er niemals getan.«
    »Warum nicht? Haben die Jungen in deiner Schule keinen Unsinn gemacht?«
    »Weil Paul in mich verliebt war.«
    Warum mußte sie ihm einen Namen geben? Jetzt sitzt er mir wie ein Widerhaken unter der Haut. Von Beruf ist er Buchhalter oder etwas in der Art –
    Estelle drückte sich da unklar aus – und arbeitet im Finanzministerium.
    Heute gab es ein weiteres merkwürdiges Zusammentreffen. Da wir noch niemand haben, der uns den Haushalt besorgt, gingen Estelle und ich zu einem billigen Restaurant in der Nähe der Wohnung, um zu Abend zu essen. Kaum hatten wir uns gesetzt, kam ein Mann herein, sah sich um, als erwartete er, dort Freunde vorzufinden, und als er niemanden sah, den er kannte, verließ er den Speisesaal wieder. Nur, das Komische daran ist, daß er ein Passagier auf dem Fährschiff war, das uns an diesem Morgen auf die Insel gebracht hatte.

    II

    2. AUGUST 1887

    as Schloß ist ein gigantischer Kerker. Ich kann das schleppende Vergehen D der Zeit nicht ertragen. Wenn ich an die Tage denke, die ich noch absitzen muß, bis ich aus einem halbwegs plausiblen Grund nach Budapest zurückkehren darf – zu Estelle –, könnte ich verrückt werden. Alles scheint mich hier an das langsame Tröpfeln der Stunden zu erinnern. In der Stille der Nacht unterstreichen die Schläge der Standuhr am Fuß der Treppe meine Schlaflosigkeit. Das quietschende Räderwerk des uralten Chronometers auf dem Sims im Wohnzimmer geht mir auf die Nerven, während ich die Zeitung zu lesen versuche, und ich kann es nicht abstellen. Unwillkürlich zähle ich die Tage, dann errechne ich die Stunden und schließlich die Minuten, bis ich wieder bei ihr sein werde, und meine Kopfhaut prickelt so heftig, daß ich mich frage, ob mein Gehirn in Flammen steht.
    Aber ich merke auch, daß ich rastlos bin, wenn ich mich bei ihr befinde. Ich langweile mich nicht mit ihr – ganz im Gegenteil. Jede Bewegung ihres Körpers fasziniert mich. Was immer sie sagt, versetzt mich in Entzücken. Ich habe das größte Vergnügen an jedweder Kleinigkeit, die ihr gefällt. Ihre wunderlichsten Launen sind mir Befehl. Sie ist sich gar nicht bewußt, welche Macht sie über mich hat. Wenn wir angekleidet sind, verberge ich meine Verliebtheit hinter einer weltmännischen Gelassenheit: Sie sieht zu mir auf als ihrem Lehrmeister, der ihr die feine Lebensart und die Kultiviertheit eines ihr unbekannten Europa nahebringt. Zu anderen Gelegenheiten bin ich für sie der erfahrene Lebemann, ein Connaisseur der Sinnlichkeit, und auch hier ist sie eine gelehrige Schülerin.
    Sie strahlt eine vitale Lüsternheit aus, die sie gleichwohl zu unterdrücken

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