Das geheime Leben des László Graf Dracula
Bahnhof fuhr. Selbst dann gelang es mir nur mit Mühe, meinen Zug zu erreichen. Sie hält mich für sagenhaft beschlagen und weltgewandt, und ich frage mich manchmal, ob diese Übertreibung nicht das Risiko der Ernüchterung in sich birgt.
Gerade so, wie man andere Geräusche im Wald erst vernimmt, wenn der Wind nachläßt, bin ich mir jetzt meiner Ratlosigkeit bewußt geworden, da mich Estelles stimulierende Gegenwart nicht mehr in Anspruch nimmt.
Heute habe ich mich mit Gregor zur Jagd verabredet, in der Hoffnung, dadurch rechtschaffen müde zu werden oder wenigstens ein bißchen Ablenkung von meinen obsessiven Gedanken zu finden. Nach dem Mittagessen wollte ich sogleich aufbrechen, aber Gregor nahm Elisabeths Einladung zum Kaffee im Salon an. Er hätte eine Überraschung für uns, sagte er. Wir nippten an den irritierend winzigen Tassen, auf die Elisabeth immer besteht, und plauderten über Belanglosigkeiten, während wir darauf warteten, daß Gregor den Zeitpunkt für gekommen hielt, mit seiner Überraschung herauszurücken. Mein einstmals leichtherziger Freund zeigt heute so selten Neigung zur Verspieltheit, daß wir ihm bei diesen Gelegenheiten gern seinen Willen lassen. Er rückte unbehaglich in seinem Sessel herum, und seine Hand verschwand in einer jener zahllosen Taschen, die Priester so geschickt in ihren Kutten verbergen, um schließlich mit einem weißen Couvert wieder aufzutauchen.
»Meine Saat hat Früchte getragen«, sagte er, als er den Umschlag wie ein Zauberer zum Vorschein brachte.
»Sie haben einen neuen Spender aufgetan!« rief Elisabeth.
»Wozu sollte ich einen neuen Spender brauchen, wenn ich schon so großzügige Stiftungspatrone habe?« entgegnete er lächelnd.
Das war so etwas wie ein wunder Punkt, da ich schon lange der Ansicht bin, daß es in der Stadt noch andere begüterte Familien gibt, die es sich sehr wohl leisten könnten, einen größeren Anteil zur Unterstützung unserer Kirche beizutragen. Aber ich schwieg, denn ich weiß, daß Elisabeth sehr stolz auf die Tatsache ist, daß wir im wesentlichen für alle Unkosten aufkommen. Sie besteht darauf, daß die Mittel dazu aus ihrer Mitgift bestritten werden, und wenn sie von
»unserer« Kirche spricht, verwendet sie das Possessivum durchaus nicht unabsichtlich. Es besteht hier so etwas wie eine heimliche Symmetrie: ihre Kirche, mein Liebesnest. Es mag kleinlich sein, so zu denken, aber mir scheint, daß das Geld, das sie für eine neue Altarwand oder für prächtige Meßgewänder verschwendet, in gewisser Weise die Ausgaben für kirschrote Vorhänge rechtfertigt.
»Hast du nicht eine Idee, was es sein könnte, László?«
»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte ich. Mir war, als hätte ich das Trappeln der Pferde gehört, die Jakob für uns satteln sollte, und ich hatte das Spielchen satt.
Zumal ich, der ich selbst genug Geheimnisse habe, kein Freund von Überraschungen bin.
»O ja! Lassen Sie ihn raten, Gregor. László ist in letzter Zeit so düster. Er braucht ein bißchen Aufmunterung.«
»Der Bischof hat sich endlich bereit gefunden, dir einen weiteren Assistenten zu geben«, riet ich.
Gregor schüttelte den Kopf. »Eigentlich ist László der Anlaß für diesen Brief.
Er kommt aus Budapest, von unserer Tortenkünstlerin.«
Ich hatte gerade einen Schluck Kaffee genommen und verschluckte mich fast vor Überraschung.
»Von der kleinen Theissen?« fragte ich.
»Estelle«, sagte Elisabeth. »So ein hübscher Name. So ein hübsches Mädchen.«
Ich nickte vage mit dem Kopf, während ich versuchte, meiner Unruhe Herr zu werden.
»Sie hat ihre Stellung bei der französischen Familie, die du ihr empfohlen hast, angetreten, und sie hat an ihre Eltern geschrieben, die mir den Brief zum Vorlesen mitgegeben haben, mit gebührender Betonung ihrer ergebensten Dankbarkeit.« Bei den letzten Worten sank Gregors Stimme in germanischen Baß, als er Theissen imitierte.
Elisabeth lächelte mich liebevoll an, wie sie es immer tut, wenn sie meint, daß ich ein gutes Werk getan habe, das mich der ewigen Seligkeit näher bringt. Sie ist immer aus den falschen Gründen um meine Seele besorgt. »Lassen Sie hören!« sagte sie.
»Also, sie schreibt: ›Liebste Mama und Papa‹ – zuerst kommen da noch ein paar Fragen nach Verwandten und dem Hund der Familie und so weiter –
›Madame du Barry hat mich sehr gütig aufgenommen, und ich fühle mich in ihrem Haus sehr wohl. Sie ist außerordentlich elegant und aristokratisch, aber etwas
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