Das geheime Leben des László Graf Dracula
hier als altmodisch oder ungewöhnlich intim bei einem solchen gesellschaftlichen Anlaß erscheinen mußte. Auf jeden Fall war damit meine familiäre Priorität in der Gruppe besiegelt. Die anderen machten mir Platz. Eine der beiden Hofdamen bot mir ihren Sitz neben meiner lieben Cousine an, aber ich lehnte dankend ab.
»Nach so vielen Jahren wieder vereint zu sein.« Die junge Dame stieß einen sehnsüchtigen Seufzer aus, der mir reichlich übertrieben vorkam.
»Auf diesen Augenblick habe ich zehn Jahre lang gewartet«, sagte ich. Ich bemühte mich, Worte zu wählen, die geeignet waren, die Zuneigung eines Cousins auszudrücken, aber gleichzeitig wollte ich die Gelegenheit ergreifen, Nicole meine Gefühle mitzuteilen, ohne vor all diesen Leuten, denen ich noch nie begegnet war, mein Herz auszuschütten. »Ich habe oft an Sie gedacht«, sagte ich einfach.
Nicole betrachtete mich mit einem rätselhaften Lächeln. »Dann müssen wir genau da weitermachen, wo wir aufgehört haben.«
»Sie sind den ganzen weiten Weg bis nach Paris gekommen, nur um Nicole zu sehen?« fragte derselbe Mann, der vorher mit meiner Tante gesprochen hatte, ungläubig. Die anderen lachten. Er schien die Rolle des Hofnarren zu spielen.
Oder vielleicht sogar noch mehr, denn anscheinend konnte er sich als einziger ungestraft über Nicole lustig machen, als wäre er nicht von Ehrfurcht ergriffen und als brauchte er sie nicht ganz ernst zu nehmen.
»Aber nein«, warf Nicole ein, bevor mir eine passende Antwort einfiel. »Ich bin nur ein nebensächliches Detail. László ist hier, um sich mit den Phänomenen des Geistes zu beschäftigen.«
»Ah, ein Wissenschaftler und ein Dichter«, sagte der glatte Kerl verständnisvoll.
Nicole stellte ihn mir als Lothar von Pick vor und nannte mir auch die Namen der anderen. Anscheinend umgibt sie sich mit Stutzern und einfältigen Mädchen, und einige Male glaubte ich zu sehen, wie sie ihren Unmut über irgendeine nichtssagende Bemerkung herunterschluckte.
Andererseits scheint Lothar wichtig zu sein. Er spricht französisch mit einem leichten Akzent, und als ich seinen Namen hörte, wurde mein Eindruck bestätigt, daß wir beide Untertanen des Kaisers Franz Joseph sind – ich als Ungar, er als Österreicher. Lothar ist eher klein und nicht besonders gutaussehend, aber sein respektloser Humor fasziniert die Menschen. Sein Selbstvertrauen grenzt schon fast an Unhöflichkeit, und was andere Leute von ihm denken, scheint ihm völlig egal zu sein – mit dem Ergebnis, daß alle um seine Zustimmung buhlen, die er ihnen aber nie gewährt. Nicole möchte ihn ganz gerne zu ihrem Lieblingsspielzeug machen, aber ich fürchte, diese Rolle wird ihm nicht stehen. Sein Äußeres ähnelt dem eines Fischotters: Sein Haar ist dunkelbraun und aus der Stirn glatt nach hinten gestrichen, was ihm trotz seiner dicken Lippen und Wangen etwas Glattes verleiht, so als wäre er gerade eben aus dem Wasser aufgetaucht, naß und glitzernd, um in der Luft die Schwächen der Menschheit aufzuspüren. Wenn er nichts sagt, liegt ein ironisches Lächeln auf seinen Lippen.
»Und wie findest du die Universität?« fragte mich Nicole.
»Ich studiere nicht an der Universität.« Ich dachte, daß sie das aus dem Brief, den ich ihrer Mutter vor meiner Abreise aus Ungarn geschrieben hatte, eigentlich wissen müßte. »Ich bin Assistent im Salpêtrière.« Ich sah, wie einige voller Abscheu das Gesicht verzogen, andere mich mit leerem Gesichtsausdruck anblickten. »Bei Professor Charcot«, fügte ich überflüssigerweise hinzu.
»An diesem schrecklichen Ort für alte Frauen?« Nicole zitterte. »Wie hältst du das aus?«
»Rümpfen Sie nicht die Nase, beste Nicole«, sagte Lothar mit leiser spöttischer Stimme. »Wer weiß, was noch aus Ihnen werden könnte, wenn Sie keinen Ehemann finden? Dann würden Sie vielleicht auf Läszlös Gnade angewiesen sein, dort im Salpêtrière, damit er Ihnen ein hübsches Plätzchen sichert.«
Ich fand, daß er etwas zu weit gegangen war, aber anscheinend erwartete man von ihm solche schrägen Bemerkungen, jedenfalls schien es niemanden zu stören.
Nicole starrte ihn mit einem sphinxhaften Lächeln an. »Nun, wo immer meine Tage auch enden werden, ich werde stets mit Genugtuung feststellen können, in Ehren alt geworden zu sein«, sagte sie. »Ob Sie das auch von sich behaupten können?«
»Tugendhaftigkeit ist zwar eine Belohnung, aber zu meinem Glück nicht die einzige Belohnung, die Paris zu bieten
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