Das geheime Leben des László Graf Dracula
merkwürdig, nach so langer Zeit? Es ist doch nicht so, als lebten wir am Ende der Welt. Wir sind doch nicht außer Reichweite. Wenn sie hätten herausfinden wollen, wie es dir geht, dann hätten sie doch jederzeit schreiben können.«
»Na schön, es ist ein bißchen merkwürdig. Aber mehr auch nicht.«
»Trotzdem sollten wir ihnen antworten«, schlug sie vor. Es war eine Bestimmtheit an ihr, die ich bisher nur bemerkt hatte, wenn es um religiöse Dinge ging.
»Auf jeden Fall.« Ich griff automatisch nach der Schreibfeder und stellte fest, daß ich auf weitere Instruktionen wartete. Mir war gar nicht bewußt gewesen, in welchem Ausmaß Elisabeth jetzt unseren Haushalt führt.
»Glaubst du nicht, daß es eine gute Idee wäre, nach Budapest zu fahren?«
fragte sie.
»Ja, schon.« Ich zuckte die Achseln, erstaunt über die Richtung, die sie einzuschlagen schien. »Aber wozu?«
»Weil wir beide eine Abwechslung brauchen. Eine völlige Veränderung. «
Ich überlegte, ob dies Teil irgendeines Komplotts sein konnte, den sie und Gregor ausgeheckt hatten. Wollte man mich kurzerhand in die Anonymität der Stadt abschieben? Hatten sie vor, mich an Bord eines Schiffes zu verfrachten, das am Donaukai angelegt hatte, mir einen Paß und eine Geldkatze in die Hand zu drücken und mir einzuschärfen, niemals mehr nach Ungarn zurückzukehren?
Ich an ihrer Stelle hätte eine dieser Möglichkeiten gewählt. Aber in Elisabeths Augen war ein flehender Ausdruck getreten. Es scheint wirklich, als könnte keine Greueltat, die ich begehe, diese Frau je dazu veranlassen, mich aufzugeben.
»Wir können sicherlich nicht so weitermachen wie bisher«, sagte ich. Ich meinte es eher im Hinblick auf meinen Hausarrest, aber sie sah darin die Bestätigung, daß ich ernsthaft nach moralischer Erneuerung strebte.
Und so habe ich eine vorsichtige Antwort an Nicole abgefaßt: Wir würden in einer Woche nach Budapest kommen; wäre Mittwoch um zwei Uhr eine gute Zeit, um vorbeizuschauen, oder wenn nicht, dann Donnerstag?
Wir werden im Bristol am Donaukorso wohnen, eine Extravaganz, die auf Elisabeths Konto geht.
13. MÄRZ 1888
Der neue Doktor nimmt seine Arbeit morgen auf, just dann, wenn wir nach Budapest fahren. Bis dahin kümmere ich mich weiter um die Kranken, fühle mich aber in zunehmendem Maß gehemmt, wenn ich meine Visiten bei Leuten abstatte, die mir von früher her als vernünftige Zeitgenossen bekannt waren, nun aber darauf bestehen, mich zu berühren oder meine Hand zu küssen. Geradeso wie sie das Böse, das die Stadt befallen hat, in Form des Vampirs personifiziert haben, versteifen sie sich jetzt darauf, der ausgleichenden Kraft des Guten in meiner Person Gestalt zu verleihen. Die Hysterie des Aberglaubens erreicht ihre Höhen genau zu der Zeit, da die wirkliche Gefahr schwindet. Niemand fühlt sich sicher, bevor er sich nicht dem Ritual unterzogen hat, diese heilige Person zu berühren. Der Anblick eines ehrenwerten Bürgers, der vor mir auf die Knie fällt, macht Gregor wütend. Ich empfinde es nur als eine Albernheit. Die Seuche wird sich von selbst ausbrennen; die einzige Gefahr, die jetzt noch verbleibt, ist das Risiko, sich die Infektion durch diese Küsserei meiner Finger zuzuziehen.
Ich bin auf der Polizeiwache gewesen, um zu sehen, ob Inspektor Kraus irgendwelche Fortschritte machte, aber der Wachtmeister sagte mir, daß er wegen »mangelnder Resultate« wieder nach Kolozsvar zurückversetzt worden sei. Ich war enttäuscht: Nicht, weil ich ihn persönlich vermißte, sondern weil Mord ein einsames Geschäft ist; ich spürte das Bedürfnis, Theresas Tod noch mal mit der einzigen Person durchzuhecheln, die in der Lage ist, sich auf sachkundige Art darüber zu äußern.
Ich war auf dem Rückweg über den Marktplatz, natürlich mit dem unvermeidlichen Jakob an meiner Seite, als eine Frau mich anhielt. Ich habe eine große Geduld entwickelt, was diese Zwischenfälle betrifft; ich stand stocksteif da, sah über sie hinweg und wartete, bis sie endlich von mir abließ.
Da fiel mir plötzlich ein Bursche auf, der an einem der Geländer lehnte, wo die Pferde angebunden werden, und der in meine Richtung starrte. Irgendwie kam er mir merkwürdig bekannt vor. Er war von schmächtiger Statur, sorglos gekleidet, und hatte einen Zylinder auf. Ich hielt ihn für einen Hausierer, für einen Verkäufer patentierter Heilmittel.
Als er bemerkte, daß ich zu ihm hinübersah, riß er seinen Hut herunter und winkte mich auf höchst
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