Das geheime Leben des László Graf Dracula
aber die anderen Eingänge befinden sich in der Nähe belebter Plätze, und ich konnte mir vorstellen, daß Stacia durch das Westtor kam und ging und sich im Schatten der Bäume am Rand des Gartens entlangschlich.
Das Tor war in einen Bogen im alten Gemäuer eingelassen. Es war ein schweres, beschlagenes altes Holztor, aber es ließ sich ohne große Mühe öffnen, und ich ging auf einem Weg unter Linden, die die Grenze des Gartens bildeten.
In der Nacht würde das Tor verschlossen sein, so daß Stacia einen Schlüssel haben mußte oder mit dem Wächter eine Abmachung getroffen hatte.
Ich ging im Schatten der Bäume und nicht durch das grelle Sonnenlicht des Gartens, so daß mich die alten Damen, die neben den Blumenbeeten auf Bänken saßen, und auch die gelegentlichen Geistesgestörten, die über die Wege schlenderten, nicht sehen konnten. Weiter entfernt entdeckte ich zwei junge Frauen, die Arm in Arm spazierengingen, und stellte mich hinter einen Baum, um zu sehen, ob eine von ihnen vielleicht Stacia war. Sie war es tatsächlich, zusammen mit einer anderen von Charcots »Spezialfällen« aus der Station, die von Madame Verdun betreut wurde. Sie gingen in eine Richtung, die vom Gebäude wegführte, und ich rechnete mir aus, daß ich an dem Punkt, an dem sich unsere Wege kreuzten, mit ihnen zusammentreffen würde.
Zuerst ging ich schneller, damit es bei unserem Zusammentreffen so aussehen konnte, als würde ich gemächlich schlendern. Stacia schien sich lebhaft mit ihrer Gefährtin zu unterhalten, und ihr Lachen war über die Geranienbeete hinweg bis zu mir zu hören. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß mein Herz vor Lust zu rasen begann und daß meine Augen von den Kurven und Rundungen ihres Körpers, die unter ihrem einfachen grauen Kleid verborgen waren, magnetisch angezogen wurden. Ich mußte mir ins Gedächtnis rufen, daß ich Arzt innerhalb der Grenzen einer Anstalt war, daß ich eine Stellung bekleidete, die fast heilig zu nennen war. Stacia trug keinen Schmuck und wirkte völlig ungekünstelt, ihr Benehmen natürlich und ungeziert; nichts an ihr erinnerte an die Schauspielerin, die sie in der vergangenen Nacht gewesen war, keine provozierenden Gesten oder verführerischen Blicke. Dies hier war ein völlig anderes Wesen als das, mit dem ich mich entwürdigt hatte. Trotzdem sehnte ich mich mit einer animalischen Leidenschaft nach ihr, die ich nicht unterdrücken konnte.
Ihre Gefährtin schien meine Gegenwart zuerst zu bemerken. Ich fragte mich, worüber sie gesprochen haben mochten, weil sie Stacia zur Vorsicht gemahnte, daß man sie hören könnte, und ihr Verhalten wurde sofort verschlossener.
Stacias Gefährtin kannte ich vom Sehen, genauso wie sie mich, und sie bewegte sich geziert und warf Blicke in meine Richtung, wie es Frauen tun, wenn sich ihnen ein erstrebenswerter Mann nähert. Stacia zeigte keinerlei Interesse an mir, auch nicht, als die Wege, auf denen wir näher kamen, sich kreuzten und wir fast zusammenstießen.
Ich blieb stehen, um sie vorbeizulassen, und nahm meinen Hut ab. Ihr Benehmen war förmlich und ausgesprochen respektvoll, als sie einen Knicks vor mir machten. Das war schon alles, außer daß ich glaubte, bei Stacias Gefährtin den Anflug eines koketten, abfälligen Ausdrucks im Gesicht wahrzunehmen. Stacias Miene selbst blieb unbewegt, zeigte weder Freude noch Abscheu.
Sie gingen weiter, und dann stand ich in der gleißenden Sonne allein da, verwirrt und ohne Kopfbedeckung. Ich überlegte mir, ob sich hier vielleicht ihre außergewöhnliche hypnotische Veranlagung bemerkbar machte. Könnte es sein, daß sie die Ereignisse des vergangenen Abends einfach ausgeblendet hatte, so daß ihre Handlungen – und Gott sei Dank auch meine – in ihrem Bewußtsein nicht länger vorhanden waren? Charcot hatte in einer seiner Vorlesungen seltene Fälle beschrieben, bei denen ein Mensch ein Doppelleben geführt hatte, sozusagen wie zwei Personen, von der jede nicht wußte, was die andere tat, und ich fragte mich, ob das bei Stacia vielleicht auch der Fall sein könnte: ein zurückhaltendes und bescheidenes Wesen am Tag und eine Hure in der Nacht.
Als ich das Gebäude betrat, in dem meine Station und die besondere Station für Charcots Frauen untergebracht waren, mußte ich an das Gelächter von Stacia und ihrer Gefährtin denken, das abgebrochen war, als ich mich ihnen genähert hatte, und mir kam der Gedanke, daß es sich bei ihrem Gespräch vielleicht um mich gehandelt haben
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