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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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    Zuerst machten sie sich keine großen Sorgen. Alle Frauen
in ihrer Umgebung sagten, man müsse einfach warten, bis die Natur bereit ist, das sei eine Frage von Monaten. Obendrein der schreckliche Tod ihrer Eltern, diesen Schock dürfe man nicht unterschätzen.
    Aber zwei Jahre vergingen, und die Natur schien immer noch nicht bereit zu sein. Die anderen Paare, die so lange wie sie verheiratet waren, hatten schon ein Kind, manche erwarteten sogar das zweite. Madame M. war verzweifelt. Sie unterwarf sich den schlimmsten Kuren und nahm Medikamente, die sie selbst herstellte. Aber nichts half. In ihrer Verzweiflung setzte sie sich schließlich wahren Foltern aus. Was sie mir da erzählt hat, war wirklich entsetzlich. Aber egal, was sie versuchte, sie wurde nicht schwanger. Deshalb waren sie in unser Dorf gezogen. Um Abstand zu den schlimmen Erinnerungen zu gewinnen ...
    Als Madame M. aufgehört hat zu reden, waren ihre Lippen blau und das Wasser kalt. Sophie klopfte an die Tür. Das Essen war auch kalt. Madame M. ist aufgestanden, und ich konnte den Blick nicht von ihrem Körper abwenden. Ihre Haut war vom Po bis zu den Knien von meinem Blut gezeichnet. Das würde verschwinden. Aber ich sah auch die Spuren der Schläge, die sie sich selbst gegeben hatte. Um die ›eingeschlafenen Organe zu wecken‹, empfahlen die Bücher, den unteren Rücken und die Innenseiten der Schenkel ›bis aufs Blut zu peitschen‹. Als ich sagte, dass ich einfach nicht begreifen könne, wie sie sich das habe antun können, entgegnete sie eisig: ›Weil das die einzigen Ratschläge sind, die man sterilen Frauen gibt.‹ Noch nie hatte sie mich so angesehen. Ich weiß noch, dass ich in diesem Moment dachte, dass sie es jetzt sicher überhaupt nicht mehr angenehm fand, mich gernzuhaben.
    Wir setzten uns an den Tisch. Wir hatten beide keinen
Hunger, aber wir zwangen uns zu essen, um nicht sprechen zu müssen. Irgendwie konnte ich sie auch verstehen. In gewisser Weise fehlten mir die Geschwister, die ich nie gehabt hatte, ebenso wie ihr das Kind, das sie nicht bekommen konnte. Ich wollte sie beruhigen und sagte, dass sie eines Tages ein Kind bekommen würde, dass meine Eltern auch lange gewartet hätten, ehe ich kam. Sie antwortete nicht und aß schweigend weiter.
    Erst meine Eltern, dann Madame M. Es war ein seltsamer Zufall, dass sich ausgerechnet die Menschen, die mir am nächsten standen, vergebens nach Kindern sehnten. Und weil ich nicht wusste, wozu ich im Leben gut sein würde, dachte ich an jenem Tag, während ich meinen Lammbraten kaute, dass meine Rolle im Leben darin bestehen würde, gegen die Unfruchtbarkeit zu kämpfen.
    Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Das ›Zimmer ohne Wände‹, die Leinwand, die Farben, Alberto – endlich wusste ich, wie ich ihr für alles danken konnte, was sie für mich tat. Ich traute mich nicht, es auszusprechen. Vor mir lagen die Leserbriefe. Ich nahm ein Blatt und einen Bleistift und schrieb, während ich laut mitsprach.
    ›Liebe Papier-Hyäne! Eine Frau, die ich sehr gern habe, kann kein Kind bekommen. Ich will keine Kinder haben. Das Einzige, was in meinem Leben zählt, ist die Malerei. Deshalb würde ich gern ihr Kind austragen. So könnte ich ihr das geben, was ihr fehlt.‹
    Madame M. hob nicht den Kopf. Tränen tropften in ihren Teller. Sie hat weitergegessen, ohne mich anzusehen. Dann wurde sie von heftigem Schluchzen geschüttelt. Schließlich brachte sie hervor, dass das junge Mädchen, das diesen Brief geschrieben hat, sehr lieb ist, aber nicht weiß, was es sagt, und dass Papier-Hyäne es schnell wieder
auf den Boden der Realität zurückbringen wird. Sie ist aufgestanden und aus dem Zimmer gegangen.
    Wir haben nicht wieder darüber gesprochen.
    Als sie mir zwei Monate später sagte, dass sie einverstanden sei, begriff ich zuerst nicht, was sie meinte. Dann flüsterte sie, wir müssten gut aufpassen, damit niemand etwas merkt. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich hatte ihr diesen Vorschlag aus der Situation heraus gemacht, weil in meinem Kopf alles durcheinanderging. Das überwältigende Erlebnis meiner Weiblichkeit. Ihre Unfruchtbarkeit. Ihr Kummer. Meine Dankbarkeit. Jetzt kam mir die Idee ziemlich verrückt vor. Aber ich beruhigte mich sogleich: Ihr Ehemann würde niemals einwilligen.
    ›Ich habe es geschafft, meinen Mann zu überzeugen. Ihr werdet es nur einmal machen. Wenn es glückt, glückt es, wenn nicht, dann nicht. Gott wird

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