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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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ich es ihm auch übel genommen, wenn er abgelehnt hätte. Im Grunde hatte ich ihm eine Frage gestellt, deren Antwort nur unannehmbar sein konnte.

    Hätte er nein gesagt, hätte ich gedacht, er liebt mich nicht.
    Er hat ja gesagt, und ich habe gedacht, er liebt mich nicht.
    Schlagartig stand mir die Anstößigkeit der gesamten Situation vor Augen . Dennoch schrieb ich ihm einen Brief, in dem ich ihm genau erläuterte, was er machen sollte. Ich weiß noch genau, wie ich Imperative aneinanderreihte, um die Sache möglichst unpersönlich zu gestalten. Die Missionarsstellung war nach Meinung aller Ärzte die einzig vernünftige, und die Vereinigung konnte nirgendwo anders stattfinden als in einem Bett, »dem einzigen Altar, wo das Werk der Körper würdig in gänzlicher Dunkelheit und Stille vollbracht werden kann«, ich erinnere mich noch an den Satz. Die Ärzte untersagten auch das Vorhandensein jeglicher Spiegel im Ehegemach, »verwerfliche Objekte der Ablenkung«. Ich spürte, wie meine Finger am Füller feucht wurden. Die Eifersucht. Diese drei Minuten waren eine Folter, eine Ewigkeit.
    In der Nacht richtete ich mit Jacques’ Hilfe das »Zimmer ohne Wände« für den Anlass her, und am nächsten Tag erhielt Annie dieselben Anweisungen wie mein Mann. Aber diesmal mündlich. Trotz des schlechten Gefühls, das mich nicht mehr verließ, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich mir auch gewünscht hätte, jemand würde mir in allen Einzelheiten erklären, wie meine erste sexuelle Beziehung verliefe.
    In Wirklichkeit hatten meine Erklärungen nicht das Ziel, Annie zu beruhigen, im Gegenteil. Ich wollte sie erschrecken, sie zur Ablehnung veranlassen, sie sollte diese Höllenmaschine an meiner Stelle aufhalten. Ich war sicher, dass es sie verletzen würde, zu sehen, wie ihr Atelier in ein Bordell
verwandelt worden war, ich dachte mir, ich würde ihre Seele mit diesem Anblick erreichen, wenn es mir nicht durch Worte gelang. »Mein Mann wird in etwa einer Stunde hier sein ...« Ich hoffte, sie durch mein Drängen zurückzustoßen.
    »Warten wir bis morgen ...«
    Ja, sie hatte es gesagt! Ich hatte gewonnen, Annie hatte es sich anders überlegt. Sie lehnte ab. Ich war ihr zutiefst dankbar, dass sie die Einzige von uns dreien war, die den Stolz und den Mut hatte, diesem wahnwitzigen Projekt Einhalt zu gebieten.
    Als sie am nächsten Morgen kam, hatte ich sie nicht erwartet. Die darauffolgenden Stunden verbrachte ich damit zu hoffen, dass Paul nicht früher heimkehren würde. Doch er kam früher. Und vor meinen Augen spielte sich eine unwirkliche Szene ab:
    Paul kommt in den Salon.
    Ich sehe ihn an, er mich nicht.
    Annie hält den Kopf gesenkt.
    Er sagt zu ihr: »Gehen wir.«
    Sie steht auf. Folgt ihm.
    Und ich tue nichts, um sie aufzuhalten.
    Ich höre, wie sich die Tür des »Zimmers ohne Wände« hinter ihnen schließt.

    Ich blieb da, wo sie mich verlassen hatten. Mein Herzschlag ließ meinen Oberkörper unmerklich vor- und zurückzucken, ich atmete schwer. Paul würde zurückkommen, er würde mir bedauernd sagen, dass er nicht mit einer anderen schlafen könne.
    Während dieser Wartezeit hätte man mich schlagen können, ich hätte nichts gespürt. Ich war nicht mehr da.
Ich befand mich in dem Teil der Seele, der den Körper nicht kennt. Vielleicht ist es der Teil, der nach dem Tod überlebt.
    Paul kehrte als Erster in den Salon zurück. Er stellte sich vor den Kamin, als würde das Feuer knistern. Dies war sein Platz, im Sommer wie im Winter. Mit einer anderen Frau zu schlafen hinderte ihn nicht daran, seinen Gewohnheiten treu zu bleiben, dachte ich. Ich glaube, dass ich mich in diesem Moment wirklich verraten fühlte, weil er vor dem Kamin stand.
    Ich sah ihn an. Er mich nicht.
    Ich hasste ihn dafür, dass er da stand. Zugleich machte es mich stark, ihn wieder im Blick zu haben. Dann packte mich der Stolz. Ich musste so tun, als wäre alles, was hier geschah, die Erfüllung meines Willens. Als hätte ich keinerlei Schwierigkeiten damit, den Vertrag, den ich selbst entworfen hatte, zu unterschreiben. Mit dem Gefühl eines Toten, der seinen Henker grüßt, holte ich aus meinem tiefsten Innern einen Ton, um Annie, die gerade wegging, ein »Auf Wiedersehen, bis morgen!« hinterher zu rufen.
    Sie antwortete mit einem entfernten »Bis morgen!«
    Nur Paul sagte nichts. Er starrte in den Kamin und hielt die Hände von sich gestreckt, als wollte er sich am brennenden Feuer wärmen. Es war der 9. April. Die Feuerböcke waren

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