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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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hörten auf, miteinander zu sprechen. Wir aßen schweigend. Nicht mal Sophie traute sich, etwas zu sagen. Sonst gab sie kleine Kommentare zu den Gerichten ab, die sie uns servierte – dass es eine gute Idee gewesen sei, die Aubergine nicht zu häuten, was ihr mehr Geschmack gebe, oder was wir für ein Glück hätten, dieses gute Hähnchen zu essen, das in der Tasche von Madame Soundso gelandet wäre, wenn sie sich nicht so beeilt hätte, um vor ihr in der Schlange zu stehen … Sophie war erfrischend, aber die schlechte Stimmung besiegte sogar ihr lockeres Mundwerk.
    Ich war ganz und gar in meiner Obsession gefangen, und wie alle Obsessionen machte auch diese alles zunichte. Paul musste ein Kind zeugen, wie auch immer! Schließlich traf
ich die schlimmste Entscheidung meines Lebens: Ich verweigerte ihm mein Bett. Ich wollte ihn mit allen Mitteln dazu zwingen, mit Annie zu schlafen, und wenn sein Kopf sich wehrte, würde sein Körper nachgeben. Ich trieb ihn mit dem Sadismus eines Feindes in die Enge, ich hatte vergessen, dass ich ihn liebte.
    Wir hätten noch lange in gegenseitiger Abweisung auf unseren Standpunkten beharren können. Wie so oft in verzwickten Situationen war es ein äußeres Ereignis, das die Dinge in Bewegung brachte.
    An dem Tag kam Paul mittags nach Hause. Es war ein Sonnabend, ich war noch im Bad. Paul schien erleichtert, mich anzutreffen. Er war ganz außer sich, konnte nicht stillstehen, berührte mit den Fingern meine zahlreichen Fläschchen auf der Frisierkommode.
    »Ich war heute früh bei der Hinrichtung von Eugen Weidmann. Dort ist etwas Entsetzliches passiert. Aus unerklärlichen Gründen fand die Hinrichtung mit fast einstündiger Verspätung statt. Es war schon taghell, als Weidmann mit gefesselten Händen auf die Knie gezwungen wurde. Die Fotografen waren außer sich vor Begeisterung, endlich die Bilder einer Hinrichtung einfangen zu können, die bislang wegen der Dunkelheit immer schlecht gewesen waren. Unentwegt klickten die Auslöser. Die Menge tobte. Der Scharfrichter Desfourneaux hat ungerührt wie gewohnt das Fallbeil betätigt. Und dann haben plötzlich Frauen die Wachen überrannt und sind auf den Richtplatz gestürmt, um ihre Taschentücher in die Blutlache zu tauchen. Wie eine Horde von Hyänen. Weidmanns Kopf war noch nicht einmal ganz in den Korb gerollt … Diese Frauen, die brüllend über den Boden krochen und mit beiden Händen das Blut aufwischten, waren unsagbar abstoßend. Ich begriff
nicht, was sie taten. Mein Kollege Eugène hat es mir erklärt: ›Sieh dir diese Wahnsinnigen an, die sich einbilden, das Blut eines Mörders werde sie fruchtbar machen.‹ Du kannst dir nicht vorstellen, was ich für Angst bekam, als er das sagte. Ich schloss die Augen und wagte nicht, sie wieder zu öffnen. Ich hatte Angst, dich ebenfalls aus der Menge heraustreten und zwischen den Frauen niederknien zu sehen. Ich bin dageblieben, bis alle anderen gegangen waren, und habe die Straßenecken beobachtet. Es würde zu dir passen , zu kommen, wenn keiner dich mehr sehen kann, dich hinzuknien, als würdest du etwas in deinem Beutel suchen, und dabei mit deinem Rock diskret den Boden zu berühren, in der Hoffnung, noch ein paar Tropfen Blut aufzufangen. Hättest du das nicht auch zustande gebracht? Ich habe Eugène gebeten, den Artikel für mich zu schreiben, und bin nach Hause geeilt. Ich wollte so schnell wie möglich bei dir sein ... Ich bin so verzweifelt über das, was mit uns geschieht , mein Liebes! Ich möchte, dass du niemals irgendwo hingehst, um mit deinem Rock über den Boden zu wischen, hörst du? Niemals ... Willst du immer noch, dass ich es tue?«
    »Ja.«
    »Ist sie da?«
    »Ja.«
    Das war am 17. Juni. Eugen Weidmann, »der Schlachter von la Voulzie«, der sechsfache Mörder, war enthauptet worden.
    Ich auch.

    Von diesem Tag an trafen sie sich jeden Samstag. Es war ein Geheimnis, das wir teilten, über das wir jedoch niemals sprachen. Solche Geheimnisse sind die schrecklichsten. Wir
koordinierten unser Handeln, ohne uns abzusprechen. Ich hatte beschlossen, mich und auch Jacques und Sophie an diesen Tagen vom Haus fernzuhalten. Wenn Jacques uns nach Paris fuhr und Sophie dort Besorgungen machte, konnten sie nicht ahnen, was im »Zimmer ohne Wände« vor sich ging.
    Jacques wartete vor dem Kino Normandie auf mich. Ich hoffte, durch einen Film auf andere Gedanken zu kommen. Die Entfernung und die Ablenkung würden es mir leichter machen, als wenn ich im Nebenzimmer säße.

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