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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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Aber das Denken lässt sich nicht so einfach ausschalten. Ich erinnere mich an Lebenskünstler , einen oscargekrönten Film, der in höchsten Tönen gelobt wurde, »ein Capra voll mit guten Gefühlen« … Doch ich musste erfahren, dass einen gute Gefühle zur Verzweiflung treiben können, wenn man gerade ein Drama durchlebt. An jenem Tag war der Knoten in meiner Seele zu eng geschnürt, um diesen Film eindringen zu lassen, und während die Melodie von Polly Wolly Doodle den Schluss – Ende gut, alles gut – einläutete, brach ich in Schluchzen aus. Weder aus Glückseligkeit noch aus Erleichterung, wie die anderen Zuschauer um mich herum; im Gegenteil, aus Unglück, Wut und Verzweiflung. Der Mann, den ich liebte, schlief mit einer anderen Frau. Statt mich von meinem Drama abzulenken, hatte dieser Film es mir deutlicher denn je vor Augen geführt.
    Ich musste Paul unbedingt wieder näher kommen, das spürte ich. Ich musste ihm zum Ausgleich für diese Samstage etwas geben, ihm zeigen, wie dankbar ich ihm war.
    Obwohl ich, seit wir in L’Escalier wohnten, alle Einladungen ablehnte, schlug ich vor, ihn zu einem Empfang in der polnischen Botschaft und zur Hochzeit von Sacha Guitry zu begleiten; der eine Besuch hatte politische Gründe,
der andere freundschaftliche. Zwischen beiden Abenden könnte man vielleicht in unserem Haus übernachten.
    Einverstanden.
    In unserem Haus in Paris, meinte ich.
    Ja, ja, er hatte verstanden.
    Das war am 28. Juni 1939.
    Der Abend in der Botschaft war ebenso heiter wie anstrengend. Alles, was in Paris Rang und Namen hatte, war da, so unbeschwert, als gäbe es die bedrohlichen Spannungen zwischen Deutschland und Polen nicht. Der polnische Botschafter Lukasiewicz tanzte den ganzen Abend und forderte die Umstehenden mit großen Gesten auf, es ihm gleichzutun. Auch die Angestellten in ihrer Dienstkleidung tanzten, sogar ich. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so amüsiert. Eine Mazurka, eine Polonaise, eine Polka … Paul hingegen war niedergeschmettert. Bei der Gefahr, die Polen drohte! War die Tschechoslowakei denn keine Warnung? Jemand neben uns antwortete ihm, während er das Bein hoch in die Luft schwang, Lukasiewicz sei überzeugt, dass Hitler bluffte, er habe aus sicherer Quelle erfahren, dass der Führer dem Duce bis 1943 Frieden versprochen hätte. Paul bezeichnete ihn als Idioten, seine Stimme ging in der Musik unter.
    Als das Feuerwerk anfing, ergriff ich seine Hand. Er ließ es geschehen, scheinbar ohne zu bemerken, dass ich ihn seit Monaten nicht mehr berührt hatte. Das zeigte mir, wie sehr ihn die politische Lage beunruhigte. Ich hingegen – weit entfernt von weltpolitischen Erwägungen, Pauls Hand in der meinen – dachte, dass unser Kind vielleicht schon unterwegs war. Oh! So eine schöne blaue Rakete! Es würde ein Junge werden. Das war am 4. Juli.
    In dieser Nacht schlief ich nicht gut. Paul war nicht zu
mir gekommen, dabei hatte ich mir vorgestellt, in seinen Armen einzuschlafen. Er verbrachte die Nacht in seinem Büro mit der Reinigung seiner »Sammlung von Sammlerpistolen«, wie er sie nannte.
    Beim Frühstück sagte er, das Leben sei doch seltsam. Nachdem er sie so lange nicht gesehen habe, empfinde er bei manchen Pistolen einen neuen Reiz, bei anderen überhaupt keinen mehr.
    Ich erinnere mich genau an diesen Satz und ich weiß auch warum. Er gehörte zu den Sätzen, die verschweigen, was sie wirklich aussagen, die bei denen, die sie aussprechen, wie auch bei denen, die sie hören, einen Nachgeschmack hinterlassen. Ein Schlüsselsatz, an den man sich später erinnert, während einem aufgeht: Das also war damit gemeint … Wie konnte ich damals nicht darauf kommen?
    Die Waffensammlung gehörte seinem Vater, Paul hatte sie von ihm geerbt.
    Er hatte immer »die kleine Derringer« bei sich. So wie ein Ring bei den Frauen einer Familie von Finger zu Finger wandert, wanderte diese Pistole bei den Männern aus Pauls Familie seit Generationen von Hosentasche zu Hosentasche. Sie sagten, mit dieser Pistole sei Lincoln ermordet worden und wenn sie sie bei sich trügen, könne sie keinen Schaden mehr anrichten. Sophie, der Lincolns Tod nichts bedeutete, umso mehr jedoch die zahllosen Ausbesserungen, die sie immer wieder an Pauls Hosentaschen vornehmen musste, murrte oft, es sei eine ziemlich üble Angewohnheit , immer eine Pistole mit sich zu führen. Das bringe Unglück. Wir lachten darüber.
    Am nächsten Morgen fuhren wir zur Hochzeit von Sacha Guitry nach

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