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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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Berger. Ich musste Gewissheit haben. Auch wenn ich mich verriet. Auch wenn sie mich nach der Beschreibung erkennen würde: Eine Frau mit einem kleinen Mädchen im Arm habe nach ihr gefragt. Auch wenn wir plötzlich aufeinanderstießen. Nicht da lag die Gefahr, das spürte ich. Mir blieb nicht mehr viel Zeit zum Handeln, auch das spürte ich.
    »Guten Tag, ich möchte Annie sprechen.«
    Eine in Pelz gehüllte Frau mit gebleichtem Haar hatte den Vorhang beiseitegeschoben.
    »Kenne keine Annie!«
    »Doch, ein junges Mädchen, das hier arbeitet.«
    »Ein junges Mädchen, das hier arbeitet also! Hier gibt’s nichts anderes, da müssen Sie schon genauer werden …
Süßes Töchterchen haben Sie. Wenn meine Mutter gewusst hätte, was aus mir wird, als ich so alt war, hätte sie mich vielleicht …«
    Ich fiel ihr ins Wort. »Ich weiß, dass Annie hier arbeitet, sie hat mir Geld gestohlen. Entweder Sie rufen sie sofort, oder ich zeige Sie bei Kapitän Schiller an, er ist ein guter Freund. Ich weiß nicht, ob das dem Ruf Ihres Hauses zuträglich wäre, sofern man bei einem Bordell von Ruf sprechen kann.«
    »Schon gut, schon gut, regen Sie sich nicht so auf, Madame. Ihr Geld, da kann ich nichts für ... Weiß nicht, wo Annie ist. Ob Sie’s glauben oder nicht, die ist gestern weg, ohne Vorwarnung, ich hatte nicht mal Zeit, sie zu ersetzen. Können sich ausrechnen, in welche Schwulitäten sie mich bringt. Was mach ich jetzt mit den Stammkunden? Die sind so empfindlich, nehmen’s immer persönlich, wenn was schief läuft. Schon gestern Abend, als ich ihnen gesagt hab, dass sie nicht da ist, haben sie so komisch geguckt, als würden sie’s nicht glauben. Die bringt mir noch einen Haufen Ärger, ich hab’s im Urin ... Immer dasselbe, immer die, wo man’s am wenigsten erwartet, bringen einen ...«
    Ich hörte nicht mehr zu. Das Spiel war eröffnet, Annie bewegte die Figuren. Woher nahm sie den Mut aufzuhören? Warum? Für wen? Auf alle Fälle nicht für sich, für sich selbst findet man diesen Mut nicht. Für Louis? Womöglich. Für Camille? Da war ich mir sicher. Sie würden kommen und mir Camille wegnehmen.
    Ich ging zu der Adresse, die mein Informant angegeben hatte. Rue de Turenne 17. An der Ecke stand ein Zeitungsjunge. Er hatte nichts zu tun, und ich schickte ihn los, im Haus an jede Tür zu klopfen. Atemlos kam er zurück. Unten wohnte ein altes Ehepaar. Der Mann hatte ihm aufgemacht,
die alte Frau saß in einem Sessel, in einer Ecke des Zimmers hockte ein Kaninchen in einem Käfig, das genauso alt aussah wie die beiden, als hätten sie sich nie durchringen können, es zu essen. In der nächsten Wohnung wohnte eine Mutter mit drei Kindern, er hatte nur zwei gesehen, die malten, aber das dritte rief, es wollte abgewischt werden. In der nächsten war niemand, jedenfalls hatte niemand geöffnet. Dann gab’s einen unfreundlichen Burschen, der anscheinend auf jemanden wartete. Das war im Dritten. Darüber war ein schönes Mädchen, ganz allein...
    »Wie alt?«
    »Ein bisschen älter als ich. Jedenfalls hatte sie mehr Busen als die Mädchen, die ich kenne. Außerdem sehr nett. Sie hat sogar eine Zeitung gekauft, damit ich nicht umsonst an die falsche Tür geklopft habe. Sie meinte, jetzt hätte sie wenigstens Beschäftigung, bis sie in den Park ...«
    »Ist gut, danke. Das ist für dich.«
    »In der obersten Etage war noch ein ...«
    »Ist gut, das reicht, du hast mir alles erzählt, was ich wissen wollte. Danke, Kleiner.«
    Er nahm wieder seinen Platz an der Straßenecke ein, und ich lief ihm hinterher. »Gib mir auch eine Zeitung.«
    Wie sollte ich es anstellen? Ich brauchte eine Schere und Klebstoff. Weiter unten in der Straße fand ich einen Schusterladen. Der Mann wollte mir gern eine Schere borgen, aber Vorsicht mit dem Kind, es sei eine Lederschere, sehr scharf. Danke, Monsieur, sehr freundlich von Ihnen ...
    Vor allem musste ich schnell machen. Annie würde bald in den Park gehen.
    Während der Zeitungsjunge unterwegs war, versteckte ich mich im Keller des Gebäudes. Die Tür stand offen, seit
der Zeit der Fliegeralarme war das üblich. Dorthin ging ich jetzt zurück. Bei dem Schuster hatte ich eine kleine Ente auf Rädern gekauft, um Camille zu beschäftigen, aber sie interessierte sich natürlich vor allem für das, was ich tat, und ich brauchte mehr Zeit. Ich wurde trotzdem rechtzeitig fertig.
    Ich lauerte darauf, dass Annie das Haus verließ. Kaum war sie verschwunden, ging ich in die vierte Etage hinauf, es war

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