Das Geheime Vermächtnis
war ein umgängliches Kind und weinte nicht, wenn er Fremde sah. Seine Ansätze von verschiedenen Gesichtsausdrücken ließen ihr Herz schmelzen und linderten den Schmerz des Splitters. Wie er ganz leicht die Stirn runzelte vor Verwunderung über die Laute, die sie von sich gab; wie sein Mund erschlaffte, wenn er einschlief; wie er staunend die Augen aufriss, als sie ihm ihren Fächer aus Pfauenfedern zeigte. Doch der Schmerz, wenn sie ihn seiner stolzen Mutter zurückgab, wurde mit jedem Mal heftiger, der Kummer ein wenig tiefer. Das Einzige, was sie noch tiefer traf, war zuzusehen, wie Corin mit dem Kleinen spielte, wenn er von der Arbeit heimkehrte. Seine braunen Hände an dem kleinen Körper wirkten riesig, wenn er das Baby hochnahm, er kitzelte das Kind und schnitt Grimassen und grinste, wenn es ihm gelang, William ein gurgelndes Lachen zu entlocken. Dann warf er jedes Mal seiner Frau einen Blick zu, um diesen Moment mit ihr zu teilen, doch Caroline hatte Mühe, sich das Lächeln abzuringen, das von ihr erwartet wurde. Zu sehen, wie er dieses Kind liebte, das nicht ihres war, war beinahe mehr, als sie ertragen konnte.
William sollte nicht getauft werden, was Caroline überraschte, obwohl es natürlich durchaus einzusehen war. Sie sorgte sich um die Seele des Kindes, doch Magpie lachte nur, als Caroline zaghaft vorbrachte, es könne ja nicht schaden, die Zeremonie trotzdem durchzuführen, nur für alle Fälle.
»Unsere Ahnen geben auf ihn acht, Mrs. Massey. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, sagte Magpie freundlich.
Verlegen ließ Caroline das Thema ruhen. Aber sie schlug vor, stattdessen ein kleines Willkommensfest für ihn zu geben, und damit war Magpie einverstanden. Caroline verschickte einige Einladungen, doch nur Angie Fosset war bereit, die Geburt eines Indianerbabys zu feiern. Sie erschien auf ihrem großen Pferd mit Satteltaschen voll abgelegter Babykleidung und Windeltücher.
»Drei Kinder sind für mich genug, also brauche ich das alles nicht mehr«, erklärte sie Magpie. Caroline hatte Hutch eine Woche zuvor nach Woodward geschickt, damit er die Sachen abholte, die Caroline als Geschenke von ihr und Corin für William geordert hatte. Magpie wirkte peinlich berührt und wurde mit jedem überreichten Geschenk verlegener, was die Stimmung auf der kleinen Party unbehaglich werden ließ.
»Mrs. Massey … das ist zu viel«, sagte Magpie schließlich mit bekümmertem Blick. Annie und White Cloud wechselten einen Blick, den Caroline nicht deuten konnte.
»Ach, du meine Güte, was für wunderschöne Sachen!«, rief Angie aus.
»Ach«, sagte Caroline lächelnd, obwohl es ihr unangenehm war, in den Mittelpunkt gerückt zu werden. »Ein wunderschöner kleiner Junge sollte wunderschöne Sachen ha ben«, erklärte sie, doch sie hatte das Gefühl, dass alle sie durchschauten – das waren die Geschenke, die sie ihrem eigenen Baby hatte machen wollen, nicht Magpies. Sie wandte sich William in seinem Korb zu, um ihre Gefühle zu verbergen, und strich mit dem Zeigefinger über sein zerknautschtes, schlafendes Gesicht. Aber das war noch schlimmer. Ihre Wangen wurden flammend rot, und der Atem stockte ihr in der Brust. »Wer möchte ein Stück Kuchen?«, fragte sie erstickt, stand auf und floh in die Küche.
Carolines zweiter Winter auf der Prärie war härter als der erste. Die vier Wände des Hauses wurden zu ihrem Gefängnis, in dem sie mit Magpie und William eingeschlossen war – die ihr ständig ihr eigenes Versagen vor Augen führten, Tag für Tag. Denn wenn Magpie durch ihre Tüchtigkeit bei der Arbeit, ihre fröhliche Art und die Leichtigkeit, mit der sie alles bewältigte, Caroline eines bewies, dann, dass sie niemals auf diese Prärie gehören würde wie die junge Ponca. Sie würde hier nie so gut zurechtkommen, nie gedeihen, niemals Wurzeln schlagen, sondern immer herumgeweht werden wie die Steppenläuferbüsche. Es fiel ihr zusehends schwerer, mit Magpie zu sprechen, Lieder und Geschichten mit ihr zu teilen, so wie früher. Die Worte blieben ihr im Halse stecken, und sie fürchtete, dass selbst aufrichtige Bewunderung für Magpie, für William, wenn sie sie in Worte fasste, nach der Trauer schmecken würden, die sie empfand. Sie würden geheuchelt klingen.
Wenn Hutch auf einen Kaffee ins Haus kam, drängte er sie sanft dazu, ihre Gedanken auszusprechen, wieder herauszukommen und zu reiten, oder sonst irgendetwas anderes zu tun, als nur im Haus zu sitzen. Caroline versicherte ihm
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