Das Geheime Vermächtnis
Caroline verstummte. Sie klappte das Buch zu und strich mit den Händen über den Einband, der vom vielen Lesen abgestoßene Ecken und Falten hatte.
»Corin?«, fragte Caroline eine Weile später zaghaft, als die Sonne im Westen dick und rund wurde. »Bist du wach?«
»Mmm …«, kam die schlaftrunkene Antwort.
»Ich werde bald mein Erbe antreten, Corin. Ich weiß, das habe ich bereits erwähnt, aber ich … ich habe dir nicht gesagt, wie viel Geld es ist. Es ist … sehr viel Geld. Wir könnten hinziehen, wo immer du willst … du wirst nicht mehr so hart arbeiten müssen …«
»Hinziehen? Warum sollten wir irgendwo hinziehen wollen?«, fragte er.
Caroline biss sich auf die Lippe. »Wir sind hier so … so isoliert – so weitab von der Stadt! Wir könnten doch … wir könnten vielleicht ein Haus in Woodward kaufen. Dann könnte ich einen Teil der Woche dort verbringen … Oder wir siedeln um, verlegen die ganze Ranch näher an die Stadt! Ich könnte … vielleicht dem Coterie Club beitreten und …«
»Was redest du denn da, Caroline? Natürlich kann ich die Ranch nicht näher an die Stadt verlegen! Rinder brauchen offene Weideflächen, und alles Land in der Nähe der Stadt ist längst an Siedler vergeben.«
»Aber du müsstest dann gar keine Rinder mehr züchten, verstehst du denn nicht? Wir werden Geld haben – mehr als genug!«, rief sie aus. Corin setzte sich auf und faltete die Zeitung zusammen. Er sah seine Frau an, und sie erschrak vor dem gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht.
»Wenn es mir ums Geld ginge, wäre ich in New York geblieben. Liebling! Dieses Leben ist das, wovon ich geträumt habe, seit mein Vater mich als kleinen Jungen mit zur Weltausstellung in Chicago genommen hat. Bei der Columbian Exposition habe ich Buffalo Bill’s Wild West gesehen … Da habe ich beschlossen, meinen Vater hier heraus zu begleiten, als er nach neuen Lieferanten suchte. Ich habe die Lassowerfer und Rodeoreiter beobachtet, und ich wusste, das ist es, was ich mit meinem Leben anfangen will! Rancher zu sein ist für mich nicht nur ein Beruf … es ist unser Leben, dies ist unsere Heimat, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich je anderswo hinziehen oder leben möchte. Ist es das, was du willst? Willst du nicht mehr hier leben? Oder vielleicht nicht mehr mit mir?« Seine Stimme brach, als er diese Frage stellte, und sie blickte rasch auf und erschrak, als sie Tränen in seinen Augenwinkeln sah.
»Nein! Natürlich nicht! Niemals ohne dich, Corin, es ist nur …«
»Was denn?«
»Nichts. Ich dachte nur … womöglich wäre ich glücklicher, wenn ich etwas mehr Gesellschaft hätte. Kultiviertere Gesellschaft vielleicht, als ich sie hier habe. Und … wenn ich glücklicher wäre, könnten wir hoffentlich endlich eine Familie gründen.«
Nach diesen Worten wandte Corin den Blick ab und starrte lange zu den Pferchen hinaus. Caroline, die glaubte, das Gespräch sei beendet, ließ sich auf ihrem Stuhl zurücksinken und schloss die Augen, tieftraurig und erschöpft von diesem Versuch, ihren Ängsten Ausdruck zu verleihen.
»Wir können anbauen. Wir könnten etwas von dem Geld dazu verwenden, das Haus doppelt so groß auszubauen, wenn du möchtest, und vielleicht ein Dienstmädchen einstellen. Eine Haushälterin, die Magpies Arbeit übernehmen kann, da sie sich jetzt um William kümmern muss … Einen Generator vielleicht, für elektrischen Strom. Und Rohrleitungen! Ein richtiges Badezimmer für dich, mit fließendem Wasser im Haus … Wie wäre das? Würde das vielleicht helfen?«, fragte Corin. Er klang so verletzt, so verzweifelt.
»Ja, vielleicht. Ein Badezimmer wäre herrlich. Lass uns darüber nachdenken, wenn das Geld kommt«, antwortete sie.
»Und ich bringe dich bald in die Stadt. Wir könnten über Nacht bleiben, vielleicht sogar zwei Nächte, wenn du möchtest? Wir kaufen dir so viele Bücher und Zeitschriften, wie auf den Wagen passen. Und ich muss zu Joe Stone, neue Sporen kaufen. Ich war so dumm, mein zweites Paar kaputt zu machen, und die guten habe ich immer noch nicht gefunden …«
»Sie sind bei Joe und Magpie. In der Erdhütte«, sagte Caroline tonlos.
»Was? Woher weißt du das?«
»Ich habe sie dort gesehen, als ich bei der Geburt geholfen habe.« Caroline verabscheute sich dafür, doch sie beobachtete ihn scharf. Sie suchte nach Anzeichen von Schuld oder Scham, nach einem verräterischen Erröten. Stattdessen schlug Corin sich die Hand vor die Stirn.
»Herrgott, natürlich! Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher