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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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vorbei, setze mich hinters Lenkrad, und er steigt hinten ein. Schlitternd fahren wir die schmale Landstraße entlang und auf die Hauptstraße zu.
    Ich fahre mit halsbrecherischer Geschwindigkeit in Richtung Devizes, so schnell ich es wagen kann, und spähe angestrengt in den Regentunnel vor mir. Aber als ich um eine Kurve rase, wird Honey auf dem Rücksitz zur Seite geschleudert, also nehme ich den Fuß vom Gas, unsicher, was das Beste wäre. Sie weint leise zwischen den einzelnen Wehen vor sich hin, und Dinny wirkt wie betäubt.
    »Es ist nicht mehr weit, Honey! Das wird schon, bitte hab keine Angst! Die holen das Baby schneller heraus, als du Epiduralanästhesie sagen kannst«, rufe ich nach hinten und schaue im Rückspiegel nach ihr. Ich hoffe, ich belüge sie nicht.
    »Ist es noch weit?«, japst sie, den Blick flehentlich auf mein Bild im Spiegel gerichtet.
    »Fünf Minuten, höchstens. Im Krankenhaus werden sie sich gut um dich und dein Baby kümmern. Die machen das, kein Problem. Richtig, Dinny?« Er zuckt zusammen, als hät te ich ihn erschreckt. Die Knöchel der Hand, die sich um Honeys geschlossen hat, treten weiß hervor.
    »Richtig. Ja, richtig. Du schaffst das schon, Süße. Sei tapfer.«
    »Hast du dir schon Namen überlegt?«, frage ich, um sie abzulenken. Von ihrer Angst, von der kalten, nassen Nacht und von den Schmerzen, die ihr einen Schweißfilm aufs Gesicht legen.
    »Äh … ich denke, ich … Callum, wenn es ein Junge wird …«, keucht sie und hält inne. Ihr Gesicht verzerrt sich, als ein neuer Krampf ihre Mitte erbeben lässt.
    »Und wenn es ein Mädchen wird?«, dränge ich sie.
    »Mädchen … für ein Mädchen … Haydee …«, stöhnt sie und versucht, sich aufzurichten. »Ich muss pressen!«
    »Noch nicht! Noch nicht! Wir sind fast da!« Ich trete das Gaspedal durch, als der orangerote Lichtschein der Stadt vor uns heranwächst.
    Ich halte direkt vor dem Krankenhaus, und Dinny springt aus dem Auto, ehe es ganz zum Stehen gekommen ist. Er kommt mit weiteren Helfern und einem Rollstuhl wieder heraus.
    »Du hast es geschafft, Honey.« Ich drehe mich auf dem Fahrersitz zu ihr um und nehme ihre Hand. »Jetzt wird alles gut.« Sie drückt meine Finger. Tränen laufen ihr übers Ge sicht, und von ihrem bockigen Stolz, ihrem Feuer und dem verächtlich gereckten Kinn ist nichts mehr zu sehen. Sie wirkt fast noch wie ein Kind. Der Regen prasselt einen stillen Moment lang auf das Autodach, dann wird die hintere Tür aufgerissen, sie holen sie heraus, und Honey schreit sie an und flucht herum, während wir alle in das Gebäude drängen und ins grelle Licht blinzeln. Ich folge den anderen, so weit ich kann, drei hallende Flure entlang und durch mehrere Türen, bis ich die Orientierung verliere. An der letzten Doppeltür hält jemand Dinny und mich zurück. Eine Hand legt sich auf meinen Oberarm, freundlich, aber unerbittlich.
    »Ab hier nur die Partner, tut mir leid. Sie können da hinten warten – hier den Flur entlang ist ein Warteraum«, erklärt mir der Mann und deutet in die Richtung, aus der wir gekommen sind.
    »Sie sind Honeys Partner?«, fragt er Dinny.
    »Ja – nein. Ich bin ihr Bruder. Sie hat keinen Partner«, sagt er.
    »Gut. Dann kommen Sie mit.« Die beiden verschwinden durch die Doppeltür, die hinter ihnen nachschwingt. Die Türflügel fegen hörbar über den Boden und stoßen mit einem dumpfen Geräusch zusammen, wenn sie sich begegnen – ein-, zwei-, dreimal. Mein Atem verlangsamt sich mit ihnen, und dann stehen sie still. Dinny ist ihr Bruder.
    Die Uhr an der Wand sieht genauso aus wie die in meinem Klassenzimmer, früher in der Schule. Sie ist rund, aus weißem Kunststoff, leicht vergilbt, und der dünne Sekundenzeiger bewegt sich ruckartig darauf fort. Es ist zehn vor eins, als ich mich auf einen grünen Plastikstuhl sinken lasse, und von da an sehe ich zu, wie der Zeiger sich dreht und dreht. Ich frage mich, warum ich gar nicht auf den Gedanken gekommen bin, dass Dinny eine Schwester haben könnte. Er hatte keine, als wir noch klein waren, also bin ich davon ausgegangen, dass er immer noch keine hat. Sie sehen sich überhaupt nicht ähnlich. Ich denke zurück, durchforste mein Gedächtnis und versuche mich zu erinnern, ob ich je gesehen habe, dass sie einander berührt oder miteinander gesprochen haben, als wären sie ein Paar. Natürlich haben sie das nicht. Da erscheint ein neues Gefühl in mir, weil ich jetzt weiß, dass er nicht ihr gehört, dass das Baby nicht seines

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